Rz. 152
Die Generalklauseln des § 138 BGB über die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts und des § 242 BGB über den Grundsatz von Treu und Glauben im Rechtsverkehr begrenzen die Vertragsfreiheit und gebieten eine richterliche Kontrolle auch des Inhalts verjährungserleichternder Einzelvereinbarungen.
Das BVerfG betont die Aufgabe des Richters, in typisierbaren Fällen, die eine "strukturelle Unterlegenheit" eines Vertragsteils erkennen lassen, ungewöhnlich belastende Folgen für den schwächeren Vertragspartner unter Anwendung der genannten Generalklauseln zu verhindern. Der Anwaltsvertrag ist ein solcher Fall, weil die Fachkunde des Rechtsanwalts und das Vertrauen seines Auftraggebers typischerweise eine Überlegenheit des Anwalts ggü. seinem regelmäßig rechtsunkundigen Mandanten begründen.
Rz. 153
Eine verjährungserleichternde Einzelvereinbarung ist dann sittenwidrig und deswegen als Missbrauch der Vertragsfreiheit nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB), wenn sie aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Abreden mit Rücksicht auf den Inhalt, den Beweggrund und Zweck der Regelung sowie alle Umstände des Einzelfalls ein objektiv auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung aufweist und eine sittlich verwerfliche Gesinnung des begünstigten Vertragspartners erkennen lässt. In die entsprechende Prüfung sind Klauseln einzubeziehen, die nach § 305c Abs. 1, §§ 307 bis 309 BGB unwirksam sind oder sein können.
Die Verwendung unangemessener AGB hat allenfalls dann die Sittenwidrigkeit des gesamten Vertrages zur Folge, wenn dieser aus sittlich verwerflicher Gesinnung so einseitig abgefasst wurde, dass nur der eine Vertragspartner seine Rechte durchsetzt, wesentliche berechtigte Belange des anderen Vertragsteils aber missachtet werden.
Rz. 154
Ausnahmsweise kann die Berufung auf eine Nichtigkeit nach § 138 BGB unter besonderen Umständen des Einzelfalls gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen und deswegen ein Rechtsmissbrauch sein.
Rz. 155
Die Ausübung eines Leistungsverweigerungsrechts, das sich aus einer verjährungserleichternden Einzelvereinbarung ergibt, kann im Einzelfall gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen und deswegen eine unzulässige Rechtsausübung sein.
Rz. 156
Eine Prüfung nach §§ 138, 242 BGB wird sich dann aufdrängen, wenn ein Rechtsanwalt oder anderer Rechtsberater im Rahmen eines berufstypischen Vertrages über Rechtsberatung und/oder -vertretung für sich vorteilhafte Vereinbarungen mit seinem Auftraggeber trifft, die diesen ungewöhnlich belasten, weil wesentliche Rechte des Mandanten ausgeschlossen oder übermäßig beschränkt werden. Dann kann eine sitten- oder treuwidrige Ausnutzung der "strukturellen Unterlegenheit" eines rechtsunkundigen Mandanten vorliegen, der "seinem" Rechtsberater vertraut und infolge fehlender Fachkunde vertrauen muss. Dies kann – nicht muss – der Fall sein, wenn ein rechtsunkundiger Auftraggeber der leichteren Verjährung eines möglichen Schadensersatzanspruchs gegen seinen Rechtsanwalt oder sonstigen Rechtsberater zustimmt, ohne dass er über sein damit verbundenes Risiko ausreichend aufgeklärt wurde, und außerdem durch weitere Umstände – etwa durch eine Beschränkung der unmittelbaren Haftung des Rechtsberaters (§ 52 BRAO, § 67a StBerG, § 54a WPO) – benachteiligt wird.