Rz. 152

Im Rahmen der nachehelichen Solidarität ist es auch möglich, bestimmte in der Vergangenheit liegende Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die keine Auswirkungen auf die zukünftige Erwerbsfähigkeit haben. Dies gilt auf beiden Seiten, also sowohl bei der Unterhaltsberechtigten als auch dem Unterhaltspflichtigen.

Denn stellt man nur auf gegenwärtige und zukünftige berufliche ehebedingte Nachteile ab, ergeben sich in bestimmten Fallkonstellationen rechtspolitisch fragwürdige Ergebnisse.

 

Rz. 153

 

Beispiel

Bei einer Sekretärin, die nach der Scheidung wieder in ihrem alten Beruf zu üblichen Gehaltskonditionen arbeitet, kann wegen fehlender ehebedingter Nachteile der nacheheliche Unterhalt begrenzt werden.

An den fehlenden ehebedingten Nachteilen ändert auch die Tatsache nichts, dass sie während der gesamten Ehe berufstätig war, aber "nebenbei" den Haushalt geführt, Kinder großgezogen und auf diese Weise durch Ihr Einkommen dem Mann auch noch das Studium finanziert hat.

Es besteht also durchaus Veranlassung, auch Fakten aus der Vergangenheit – also der Zeit der Ehe – mit in die Billigkeitsabwägung einzubeziehen, und zwar auf Seiten beider Ehegatten. Hier spielen insbesondere Lebensleistungen für die Familie eine Rolle.

a) Umstände aus der Vergangenheit zugunsten der Berechtigten

 

Rz. 154

In die Billigkeitsabwägungen können folglich noch weitere, in der Vergangenheit liegende Gesichtspunkte eingebracht werden[315] auch wenn diese sich nicht auf die gegenwärtige und zukünftige Erwerbsfähigkeit auswirken. Es ist also zugunsten des Berechtigten immer zu überprüfen, welche Leistungen für die eheliche Lebensgemeinschaft erbracht worden sind (Lebensleistung)[316] und welche Belastungen während der Ehe getragen worden sind.

Zitat

BGH, Beschl. v. 26.2.2014 – XII ZB 235/12[317]

Wesentliche Aspekte im Rahmen der Billigkeitsabwägung sind neben der Dauer der Ehe insbesondere die in der Ehe gelebte Rollenverteilung wie auch die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung.

 

Rz. 155

Damit erwächst in solchen Fällen, bei denen vor allem auf die nacheheliche Solidarität abgestellt wird, dem Unterhalt eine Ausgleichsfunktion zu im Hinblick auf diese in der Vergangenheit für die Familie erbrachten Leistungen durch langjährigen Einsatz für die Familie und die durch Erziehung und Betreuung der gemeinsamen Kinder.[318]

Zu klären ist dann aber auch, ob diese Leistungen oder besonderen Belastungen nicht bereits auf andere Weise wie z.B. Versorgungsausgleich oder Zugewinn kompensiert worden sind[319] oder ob der unterhaltsrechtlichen Berücksichtigung das Doppelverwertungsverbot entgegensteht.

 

Rz. 156

In die Billigkeitsabwägung einfließen können aber auch noch folgende weitere Gesichtspunkte:

Besondere Leistungen des Unterhaltsberechtigten (Lebensleistung[320]) während der Zeit des Zusammenlebens wie z.B.

  • überobligatorischer Einsatz während der Ehe zugunsten des Partners,[321]
  • besonderer Einsatz bei der Betreuung der gemeinsamen Kinder,[322]
  • Betreuung des Partners während längerer Krankheit,
  • Versorgung eines Kindes des Ehegatten aus erster Ehe oder eines gemeinsamen Pflegekindes,[323]
  • Finanzierung der Ausbildung,[324]
  • Mitarbeit im Erwerbsgeschäft des Ehegatten,[325]
  • die Pflege oder Unterstützung der Schwiegereltern,[326]
  • Bereitstellung von ererbtem Vermögen für den Erwerb eines gemeinsamen Hauses.[327]

Besondere Nachteile[328] aus der Zeit der Ehe wie z.B.

  • Erkrankungen,[329]
  • schwere Verletzung beim Bau des gemeinsamen Eigenheimes,[330]
  • erhebliche Verletzung bei einem vom Unterhaltspflichtigen verursachten Autounfall,[331]
  • Vertrauensschutz bei langfristig zu bedienenden Verbindlichkeiten,[332]
  • besonders beengte finanzielle Verhältnisse während der Ehe.[333]
 

Rz. 157

 

Praxistipp

Im Rahmen der allgemeinen Billigkeitsüberlegungen kann auch die Zeit der Betreuung gemeinsamer Kinder vor der Ehe Berücksichtigung finden,[334] die der BGH nicht als Grundlage für einen ehebedingten Nachteil anerkennt.[335]

[315] Siehe auch die Zusammenstellung bei Schürmann, FuR 2008, 183, 184.
[317] BGH NJW 2014, 1302 = FamRZ 2014, 823.
[318] BGH FamRZ 2009, 1207 m. Anm. Hoppenz = NJW 2009, 2450 = FPR 2009, 413 m. Anm. Schmitz; Anm. Bömelburg, FF 2009, 419; FamRZ 2010, 1517 (Tz. 17); BGH FamRZ 2009, 406, 409; BGH FamRZ 2010, 629; OLG Karlsruhe FamRZ 2010, 1083; OLG Düsseldorf FamRZ 2010, 1913 (LS).
[319] BGH NJW 2011, 1807 m. Anm. Born; Borth, FamRZ 2011, 153, 155.
[321] Klein, Das neue Unterhaltsrecht, 2008, S. 109.
[323] OLG Hamm FamRZ 1994, 1108 (beim Trennungsunterhalt), siehe aber OLG Celle FamRZ 2008, 1951.
[324] BGH NJW 2011, 3577 m. Anm. Born = FamRZ 2011, 1851 m. Anm. Schürmann; OLG Hamm NJW-RR 1991, 1447; Clausius in jurisPK-BGB, 2022, § 1578b Rn 30; OLG Saarbrücken, Urt. v. 28.8.2008 – 2 UF 16/07, FF 2008, 505 ...

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