Carsten Beisheim, Gertrud Romeis
A. Vorbemerkung
Rz. 1
Wesentliche Grundlage zur Etablierung von Compliance im Unternehmen ist in aller Regel ein sogenannter Verhaltenskodex, ein Code of Conduct, kurz CoC. Er ist ein wichtiger Bestandteil des sog. "tone from the top" und enthält deswegen idealerweise – als ein Element einer fortwährenden diesbezüglichen Kommunikation – ein Vorwort bzw. einleitende Ausführungen des Top-Managements zur Bedeutung von Compliance im Unternehmen und zu den an die Arbeitnehmer gerichteten compliance-bezogenen Erwartungen. Hervorzuheben ist darüber hinaus aber auch die Bedeutung des Middle-Managements für die Entstehung einer Compliance Kultur, der sog. "tone from the middle". Compliance ist immer auch eine Führungsaufgabe.
Ein CoC wird in der Regel auf die Einhaltung wichtiger Vorschriften, interner Regelungen und anderweitiger Standards und Weisungen dringen und zumindest die Bedeutung von Integrität, Redlichkeit, diskriminierungs- und belästigungsfreiem Verhalten, möglicher Interessenkonflikte sowie zu wahrender Unternehmensinteressen (Eigentum, Geschäftsgeheimnisse, Daten, etc.) aufgreifen (vertiefend: Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1507).
Bei der Einführung eines CoC oder generell von Compliance-Richtlinien jeder Art, die stets unternehmensspezifisch auszurichten sind, sind sowohl Mitbestimmungs- als auch Beteiligungsrechte des Betriebsrates zu beachten.
B. Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte
I. Allgemeine Compliance-Richtlinien
Rz. 2
Bei der Einführung von Compliance-Richtlinien muss der Arbeitgeber die einschlägigen Mitbestimmungsrechte beachten, wie sie sich insbesondere aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 BetrVG ergeben können. Darüber hinaus ist an besondere Regelungen wie an die allgemeine Informationspflicht nach § 80 Abs. 2 BetrVG oder schulungsbezogen an § 98 Abs. 6 BetrVG zu denken. Ob Compliance-Schulungsmaßnahmen indes Bildungsmaßnahmen im Sinne dieser Norm sind, ist umstritten (Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1509).
Rz. 3
Ob und inwieweit Compliance-Richtlinien der Mitbestimmung unterliegen, hängt von den einzelnen Compliance-Regeln ab; insoweit bedarf es also jeweils einer isolierten Prüfung der konkreten Bestimmungen (BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07; Neufeld/Knitter, BB 2013, 821, 822; Reinhard, NZA 2016, 1233, 1233). Ein Mitbestimmungsrecht kommt dann nicht in Betracht, wenn und soweit im CoC lediglich ohnehin bestehende gesetzliche Pflichten wiedergegeben werden. Solchen, nur die Gesetzeslage verdeutlichenden Statements kommt kein eigenständiger Regelungsgehalt zu. Dem Betriebsrat steht demgegenüber lediglich bei den Maßnahmen ein Mitbestimmungsrecht zu, die das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betreffen, mithin das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer (BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03). Dies gilt darüber hinaus nur insoweit, als ein betriebspartnerschaftlich auszufüllender Regelungsspielraum besteht (BAG v. 25.1.2000 – 1 ABR 3/99; Zimmer/Heymann, BB 2010, 1853, 1854). Das Arbeitsverhalten als solches, mit dem der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht erfüllt, ist nicht mitbestimmungspflichtig.
II. Beschwerdestelle
Rz. 4
Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats mit Blick auf die Frage, wo der Arbeitgeber die Beschwerdestelle nach § 13 AGG einrichtet (vgl. § 76), besteht weder nach dem AGG noch nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, denn es handelt sich insoweit um eine organisatorische Entscheidung des Arbeitgebers (BAG v. 21.7.2009 – 1 ABR 42/08). Entsprechendes gilt für die Frage der personellen Besetzung. Bezüglich der Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens indes, namentlich wenn beispielsweise eine Verfahrensordnung und darin geregelte Sanktionen Einfluss auf das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer haben, kann ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in Betracht kommen (ErfK/Schlachter, AGG § 13 Rn 2 m.w.N.).
III. Whistleblowing-Klauseln
Rz. 5
Eine Mitbestimmungspflicht besteht entsprechend bei den sog. Whistleblowing-Klauseln. Diese Klauseln sehen vor, dass Fälle von Non-Compliance an eine genau aufgeführte Stelle mitzuteilen sind. Sie statuieren damit in der Regel für die Mitarbeiter eine Meldeverpflichtung (Schulz, BB 2011, 629).
Zwar ist jeder Arbeitnehmer aufgrund der aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden Treuepflicht verpflichtet, vom Arbeitgeber und anderen Arbeitnehmern Schaden abzuwenden (BAG v. 1.6.1995 – 6 AZR 912/94; BAG v. 23.2.1989 – IX ZR 236/86; LAG Berlin v. 9.1.1989 – 9 Sa 93/88). Eine Klausel, die einem Arbeitnehmer auferlegt, Verstöße gegen eine Compliance-relevante Vorgabe zu melden, geht aber über diese Treuepflicht hinaus und gibt eine standardisierte Verhaltenspflicht vor. Mithin ist die betriebliche Ordnung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG betroffen, denn die Statuierung einer Meldeverpflichtung beeinflusst auch das Miteinander der Arbeitnehmer im Unternehmen. Dies hat zur Konsequenz, dass dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zusteht (BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07; LAG Düsseldorf v. 14.11.2005 – 10 TaBV 46/05; Reinhard, NZA 2016, 1233, 1234). Dieses besteht selbst unter der Bedingung, dass dem Arbeitnehmer ein Handlungsspielraum in Gestalt eines Ermessensspielraums überlassen ...