Frank-Michael Goebel, Dr. Jochen Schatz
Rz. 107
Hat der Schuldner neben dem pfändenden Unterhaltsberechtigten weiteren Personen Unterhalt zu gewähren, so ist zunächst anhand von § 850d Abs. 2 ZPO der Rang des pfändenden Unterhaltsberechtigten zu bestimmen, der auch in Bezug auf rückständige Unterhaltsansprüche gilt. Während bei der Pfändung "normaler" Geldforderung gem. § 804 Abs. 3 ZPO gilt: "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst", findet diese Regelung bei der Pfändung aus einem Unterhaltstitel keine Anwendung. Die Rangordnung hat folgende Reihenfolge (§ 850d Abs. 2 ZPO), wobei mehrere gleich nahe Berechtigte untereinander gleichen Rang haben:
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minderjährige Kinder und Kinder i.S.v. § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB (Volljährige, im Haushalt mindestens eines Elternteils lebende volljährige Kinder bis zum 21. Lebensjahr, die sich in einer Schulausbildung befinden), |
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Elternteile, die wegen der Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt sind oder im Fall einer Scheidung wären, sowie Ehegatten und geschiedene Ehegatten bei einer Ehe von langer Dauer; bei der Feststellung einer Ehe von langer Dauer sind auch Nachteile i.S.d. § 1578b Abs. 1 S. 2 und 3 zu berücksichtigen, |
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Ehegatten und geschiedene Ehegatten, die nicht unter Nr. 2 fallen, |
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Kinder, die nicht unter Nr. 1 fallen, |
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Enkelkinder und weitere Abkömmlinge, |
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Eltern, |
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weitere Verwandte der aufsteigenden Linie; unter ihnen gehen die näheren den entfernteren vor. |
Pfänden mehrere Unterhaltsberechtigte das Einkommen des Schuldners, so schließen die Unterhaltsberechtigten einer besseren Rangklasse die der schlechteren Rangklasse aus.
Das den notwendigen Unterhalt des Schuldners übersteigende Einkommen ist zum Zweck der Bestimmung des pfandfreien Betrags gemäß § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO im Verhältnis der Höhe der gesetzlichen Unterhaltsansprüche der Unterhaltsberechtigten in der gleichen Rangstufe zueinander zu quoteln. Der über den notwendigen Selbstbehalt hinausgehende Betrag ist daher nicht nach Kopfteilen der in einer Rangstufe stehenden Unterhaltberechtigten zu bemessen, sondern bei der Bemessung dieses Betrags sind die Berechtigten entsprechend dem Verhältnis der ihnen jeweils gegen den Schuldner zustehenden Unterhaltsansprüche zu berücksichtigen, wobei von den gesetzlichen Unterhaltsansprüchen auszugehen ist. Das den notwendigen Unterhalt des Schuldners übersteigende Einkommen ist daher im Verhältnis der Höhe der gesetzlichen Unterhaltsansprüche der Unterhaltsberechtigten in der gleichen Rangstufe i.d.R. auf der Basis der Düsseldorfer Tabelle zueinander zu quoteln.
Beispiel
In dem vom BGH vorliegend entschiedenen Fall hatte der Gläubiger im Jahr 2021 eine monatliche Unterhaltsforderung von 528,00 EUR, die weitere Tochter M. des Schuldners eine Unterhaltsforderung von 451,00 EUR. Diese Beträge entsprechen der Düsseldorfer Tabelle, Stand 1.1.2021 – für den Gläubiger in der Altersstufe 12–17 Jahre, für die weitere Tochter in der Altersstufe 6–11 Jahre. Die Beträge von 528,00 EUR und 451,00 EUR entsprechen einer Quote von 54 % / 46 %.
Da dem Vollstreckungsgericht i.d.R. weitere Angaben zu eventuellen Unterhaltsberechtigten fehlen, z.B. schon allein das Alter der Kinder möglicherweise nicht bekannt ist, kann die Ermittlung des Freibetrags scheitern. Völlig unübersichtlich wird die Sache für das Vollstreckungsgericht, wenn z.B. ein volljähriges Kind vollstreckt und vorrangige minderjährige und vorrangige (geschiedene) Ehegatten vorhanden sind.
Beispiele
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Pfändet ein vorrangiger Unterhaltsberechtigter zeitlich nach einem nachrangigen Unterhaltsberechtigten, so kann dieser auf den Betrag zugreifen, der dem Schuldner bei der Pfändung durch den nachrangigen Unterhaltsberechtigten zur Erfüllung seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem vorrangigen Berechtigten belassen wurde. |
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Ist der pfändende Unterhaltsgläubiger mit den weiteren Unterhaltsberechtigten dagegen gleichrangig, so hat eine gleichmäßige Befriedigung dieser Ansprüche zu erfolgen. Das bedeutet nicht, dass beide exakt die gleichen Beträge erhalten. |
Für die übrigen gleichrangigen Unterhaltsberechtigten, denen der Schuldner außer dem vollstreckenden Gläubiger kraft Gesetzes Unterhalt schuldet und auch tatsächlich zahlt, ist als Freibetrag nur der tatsächlich geleistete – ggf. geringere – Unterhalt maßgeblich. Die Gewährung von Naturalunterhalt ist gegenüber der Gewährung von Barunterhalt grundsätzlich gleichwertig, sodass die Unterhaltspflicht des Schuldners durch die Gewährung von Naturalunterhalt (Wohnung, Pflege, Ernährung, Erziehung, etc.) vollständig erfüllt wird. Der Schuldner, der einem dem pfändenden Gläubiger gleichstehenden minderjährigen Kind keinen Barunterhalt, sondern Naturalunterhalt leistet, kann wie ein Barunterhalt leistender Schuldner die Heraufsetzung des ihm pfandfrei zu belassenden Betrags nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO verlangen.
Rz. 108
Einkommen des einzelnen Unterhaltsberechtigten, das dessen Bedarf mindert (wie z.B. Erziehungsgeld oder Kindergeld), mindert den Anspruch, weil es anzurechnen ...