Frank-Michael Goebel, Dr. Jochen Schatz
Rz. 181
Der Lohnverschleierung durch unentgeltliche oder unverhältnismäßig gering vergütete Tätigkeit kann der Fall gleichstehen (also § 850h analog), dass der Schuldner sich in eine ungünstige Steuerklasse einstufen lässt und dadurch sein der Pfändung unterliegendes Nettoeinkommen vermindert. Durch ein geringeres Nettoeinkommen ergibt sich in der Folge ein geringerer, wenn nicht sogar überhaupt kein pfändbarer Betrag. Eine durch die ungünstige Steuerklasse folgende evtl. Überzahlung von Lohnsteuer etc. erhält der Schuldner im Folgejahr im Rahmen einer Einkommensteuererstattung zurück.
Rz. 182
Nach der ständigen Rechtsprechung einer Vielzahl von Instanzgerichten kann das Vollstreckungsgericht in diesen Fällen anordnen, dass der Schuldner für die Berechnung des Nettoeinkommens so zu stellen ist, als hätte er die für ihn günstigere Steuerklasse (meist IV anstelle von V) gewählt.
Beispiele
Schuldner und Ehegatte beziehen ein in etwa gleich hohes Einkommen, versteuern dies jedoch nach Steuerklasse V (Schuldner) bzw. Steuerklasse III (Ehegatte). Auf Antrag des Gläubigers ergeht ein Beschluss des Vollstreckungsgerichts, wonach gem. § 850h angeordnet wird, dass der Drittschuldner den Schuldner bei der Berechnung des unpfändbaren Betrages so zu behandeln hat, als würde das Einkommen (fiktiv) nach Steuerklasse IV (vier) versteuert werden.
Versteuert der Schuldner sein Einkommen nach Steuerklasse IV und liegt sein Einkommen mehr als 10 % über dem Einkommen der Ehefrau, benachteiligt er ohne Grund die Interessen des Gläubigers, sodass zur Ermittlung des pfändbaren Betrages die Steuerklasse III zugrunde zu legen ist.
Das setzte nach deren überwiegenden Auffassung voraus, dass die Wahl der Steuerklasse nach der Pfändung erfolgt und weiterhin kein sachlicher Grund für die Wahl der Steuerklasse gegeben ist. Mit Beschl. v. 4.10.2005 hat der Bundesgerichtshof die Problematik abschließend beurteilt und erkannt, dass in denjenigen Fällen in denen der Schuldner bereits vor der Pfändung eine ungünstigere Steuerklasse in Gläubigerbenachteiligungsabsicht gewählt hat, er bei der Berechnung des pfändungsfreien Betrags schon im Jahre der Pfändung so behandelt werden kann, als sei sein Arbeitseinkommen nach der günstigeren Steuerklasse zu beurteilen. Wählt der Schuldner nach der Pfändung eine ungünstigere Lohnsteuerklasse oder behält er diese für das folgende Kalenderjahr bei, so gilt dies auch ohne Gläubigerbenachteiligungsabsicht schon dann, wenn für diese Wahl objektiv kein sachlich rechtfertigender Grund gegeben ist. Während es also im Hinblick auf die Wahl nach der Pfändung oder Beibehaltung ausreicht, dass für die Wahl des Schuldners objektiv kein sachlich gerechtfertigter Grund vorliegt, gilt für die Wahl vor der Pfändung, dass eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht vorliegen muss. Zur Beurteilung der Gläubigerbenachteiligungsabsicht sind alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zur berücksichtigen. Hierzu gehören u.a.:
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Höhe der Einkommen beider Ehegatten, |
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Kenntnis des Schuldners von der Höhe seiner Verschuldung, |
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Kenntnis des Schuldners von einer drohenden Zwangsvollstreckung, |
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bereits erfolgte Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, |
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Zeitpunkt der erstmaligen Wahl der ungünstigen Steuerklasse, |
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enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Steuerklassenwahl und der Verschuldung bzw. drohenden Zwangsvollstreckung, |
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fehlende Auskunft des Schuldners über den Zeitpunkt der Steuerklassenwahl und |
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Vorliegen bzw. Fehlen eines sachlichen Grundes für die Wahl der Steuerklasse. |
Rz. 183
Fehlen diese Umstände, die die Gläubigerbenachteiligungsabsicht ausmachen, ist für das laufende Jahr vor der Pfändung die Wahl der Steuerklasse durch den Schuldner seitens des Gläubigers hinzunehmen. Ein Beschluss, wonach der Arbeitgeber die für den Gläubiger günstigere Steuerklasse zur Ermittlung des pfändbaren Betrags zugrunde legen muss, ergeht mit Wirkung ab dem Folgejahr.
Rz. 184
Tipp
Hat der Gläubiger bereits zum Zeitpunkt der Beantragung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses Kenntnis vom Vorliegen der – für ihn ungünstigen – Steuerklassenwahl des Schuldners, kann er zusammen mit dem Antrag auf Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses den Antrag stellen, dass der Schuldner bei der Berechnung des pfändbaren Betrags so zu behandeln ist, als hätte er die für ihn ungünstigere Steuerklasse gewählt. Die Umstände der Gläubigerbenachteiligungsabsicht sind allerdings im Einzelnen darzulegen und glaubhaft zu machen. Bei Beachtung der Rechtsprechung des BGH sind die Chancen für den Gläubiger günstig. Das hat den Vorteil, dass der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ohne Anhörung des Schuldners ergeht. Der Schuldner hat dann u.U. im Rahmen der Einlegung von Rechtsmitteln geltend zu machen, dass eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht nicht vorlag.
In der Regel erfährt der Gläubiger jedoch erst nach Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses durch Einsichtnahme in die Lohnabrechnung des Schuldners nach welche...