Frank-Michael Goebel, Dr. Jochen Schatz
Rz. 984
Ansprüche auf Erstattung von Steuern (§ 37 Abs. 2 AO) sind (ebenso wie Haftungsbeträge, steuerliche Nebenleistungen und Steuervergütungen) pfändbar, § 46 Abs. 1 AO. Die Pfändbarkeit gilt für alle bereits entstandenen (§ 46 Abs. 6 S. 1 AO) Erstattungsansprüche, unabhängig von der Steuerart. In Betracht kommen u.a. Steuern nach Bundesrecht (z.B. Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Kapitalertragsteuer, Umsatzsteuer, Grundsteuer Gewerbesteuer).
Das Entstehen des Steuererstattungsanspruchs ist zwingende Voraussetzung für eine wirksam Pfändung, § 46 Abs. 6 S. 1 AO. Ein entgegen diesem Verbot erwirkter Pfändungs- und Überweisungsbeschluss oder erwirkte Pfändungs- und Einziehungsverfügung ist nichtig, § 46 Abs. 6 S. 2 AO. Ein noch nicht entstandener Steuererstattungsanspruch kann demnach auch nicht als künftige Forderung rechtswirksam gepfändet werden. Auch eine Vorpfändung ist vor der Entstehung des Anspruchs ausgeschlossen. Wann und unter welchen Voraussetzungen ein Steuererstattungsanspruch entsteht, richtet sich nach dem jeweils einschlägigen materiellen Steuergesetz.
Rz. 985
Hinweis
Entstehung des Steuererstattungsanspruchs am Beispiel der Einkommensteuer:
Geht der Einkommensteuererstattungsanspruch auf die vom Arbeitslohn des Schuldners einbehaltene Lohnsteuer zurück, wird der Rechtsgrund für den Anspruch bereits mit der Abführung der Lohnsteuer gelegt (Zeitpunkt der Begründetheit). Der Erstattungsanspruch steht dann lediglich unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Jahresende die geschuldete Einkommensteuer geringer ist als die Summe der Anrechnungsbeträge, sodass sich gem. § 36 Abs. 4 S. 2 EStG, § 37 Abs. 2 AO ein Erstattungsanspruch ergibt (Entstehungszeitpunkt = Ablauf des Veranlagungszeitraums = 31.12 des Jahres).
Für die Entstehung kommt es insbesondere nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung oder die daraufhin erfolgende Festsetzung (Steuerbescheid) an. Eine Pfändung ist rechtlich mit Ablauf des Veranlagungszeitraums zulässig und kann wirksam ausgebracht werden.
Die Lohnsteuer ist keine eigene Steuer, sondern bezeichnet gem. § 38 Abs. 1 S. 1 EStG lediglich eine besondere Erhebungsart der Einkommensteuer bei Einkünften aus nicht selbstständiger Tätigkeit.
Beispiel
Im Jahr 2024 können Einkommensteuererstattungsansprüche für die Veranlagungszeiträume bis 2023 (einschließlich) gepfändet werden.
Der Steuererstattungsanspruch für das Veranlagungsjahr 2024 entsteht erst mit Ablauf des Jahres 2024 und kann demnach frühestens am 1.1.2025 gepfändet werden. Auch eine Vorpfändung ist erst ab dem 1.1.2025 möglich.
Rz. 986
Hinweis
Die Vorpfändung (§ 845 ZPO) eines Steuererstattungsanspruchs ist erst mit der vom Gerichtsvollzieher bewirkten Zustellung des die Vorpfändung enthaltenden Schreibens im Sinne des § 46 Abs. 6 AO "erlassen". Auf den Zeitpunkt, zu dem das Schreiben dem Gerichtsvollzieher übergeben worden ist, kommt es nicht an.
Rz. 987
Für den Gläubiger ist es daher wichtig, zunächst festzustellen, wann Erstattungsansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen: Dies ist nach § 38 AO der Fall, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Nicht erheblich sind dagegen die Feststellung (des Erstattungsanspruchs dem Grunde nach) und die Festsetzung (der Höhe nach), § 220 Abs. 2 S. 2 AO.
Die Entstehung der Erstattungsansprüche richtet sich nach den jeweils einschlägigen materiellen Steuergesetzen (nachstehend beispielhaft):
▪ |
Die Einkommensteuer ist eine Jahressteuer, § 2 Abs. 7 EStG. Veranlagungszeitraum ist das Kalenderjahr, § 25 Abs. 1 EStG. Die Entstehung datiert mit Ablauf des Kalenderjahres, § 36 Abs. 4 S. 2 EStG, § 37 Abs. 2 AO. |
▪ |
Die Umsatzsteuer enthält in § 13 Abs. 1 UStG nach Lieferung und Leistungsart differenzierte Regelungen für den Zeitpunkt des Entstehens. |
▪ |
Die Gewerbesteuer entsteht mit Ablauf des Erhebungszeitraums, soweit es sich nicht um Vorauszahlungen handelt, § 18 GewStG. |
▪ |
Die Körperschaftssteuer ist eine Jahressteuer, § 7 Abs. 3 S. 1 KStG. Veranlagungszeitraum ist das Kalenderjahr, § 7 Abs. 3 S. 2 KStG. Die Entstehung richtet sich nach § 30 KStG. Die Körperschaftsteuer entsteht für Steuerabzugsbeträge in dem Zeitpunkt, in dem die steuerpflichtigen Einkünfte zufließen (§ 30 Nr. 1 KStG), für Vorauszahlungen mit Beginn des Kalendervierteljahrs, in dem die Vorauszahlungen zu entrichten sind, oder wenn die Steuerpflicht erst im Laufe des Kalenderjahrs begründet wird, mit Begründung der Steuerpflicht (§ 30 Nr. 2 KStG) und für die veranlagte Steuer mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, soweit nicht die Steuer nach (§ 30 Nr. 1 oder Nr. 2 KStG schon früher entstanden ist (§ 30 Nr. 1 KStG). |
▪ |
Die Kraftfahrzeugsteuer entsteht mit dem Beginn der Steuerpflicht, bei fortlaufenden Entrichtungszeiträumen mit Beginn des jeweiligen Entrichtungszeitraums, § 6 KraftStG. Die Kraftfahrzeugsteuer ist gem. § 11 KraftStG grundsätzlich für ein Jahr im Voraus zu entrichten, in Ausnahmefällen auch halbjährlich oder vierteljäh... |