Rz. 13

Eine Geschwindigkeitsmessung durch Voraus-/Nachfahren mit einem gewöhnlichen Pkw – ohne besondere technische Zusatzausstattung – ist besonders fehleranfällig und somit kein standardisiertes Messverfahren.[19]

Zum einen ist die Geschwindigkeit des Polizeifahrzeuges unpräzise, da neben der Eichung bzw. Justierung des Tachometers auch der Reifendruck eine Rolle spielt. Eine weitaus größere Fehlerquelle sind denknotwendig die Messbeamten, denn sie müssen eine Vielzahl von subjektiven Wahrnehmungen gleichzeitig und möglichst genau feststellen. Dies muss sodann möglichst zeitnah dokumentiert werden, wobei regelmäßig der Anhaltevorgang zwischen tatsächlicher Messung und Dokumentierung die Erinnerung in zeitlicher Hinsicht eintrüben wird.

Die gemessene Geschwindigkeit ist eine Schätzung, denn sie basiert auf der subjektiven Wahrnehmung von einem stetig veränderbaren Abstand, der im Fahrzeug angezeigten, ebenfalls veränderlichen Geschwindigkeit sowie äußeren Einflüssen wie Sichtverhältnissen, Verkehrsgeschehen und anderen potenziellen Störquellen. Der Tatrichter hat diesbezüglich den konkreten Einzelfall genau zu überprüfen.[20] Zum Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen sind möglichst konkrete Angaben im Urteil erforderlich.[21]

Teilweise geben die Polizeirichtlinien der Länder Vorgaben für solche Geschwindigkeitsmessungen. Hierauf hat das Tatgericht Bezug zu nehmen, ebenso auf die übrigen Voraussetzungen für die Verwertbarkeit der Messung: Die gefahrene Eigengeschwindigkeit, die Einhaltung einer Mindestmessstrecke und eines gleichbleibenden, nicht zu großen Abstandes, die Möglichkeit der Überwachung des möglichst gleichbleibenden Abstandes und den Abzug einer fallgruppenabhängigen Toleranz. Daneben muss auch explizit festgestellt werden, ob das verwendete Tachometer binnen Jahresfrist justiert oder gar geeicht wurde.[22]

Spielt die Beschaffenheit der Reifen bereits bei den speziellen Messverfahren eine Rolle,[23] gilt dies beim einfachen Nachfahren umso mehr. Messungen zur Nachtzeit oder bei schlechten Sichtbedingungen erfordern ebenfalls weitergehende Feststellungen hinsichtlich der Frage eines konstanten Abstandes.[24] Ob sich dieser während der Fahrt verändern darf, wird nicht einheitlich gesehen.[25] Nachdem hierzu keine starren Vorgaben bestehen, wird ein sich vergrößernder Abstand jedenfalls einen erhöhten und nachvollziehbaren Begründungsaufwand erfordern.

Zur Kompensation verbleibender Fehlerquellen ist regelmäßig ein doppelter Toleranzabzug vorzunehmen; zum einen für die Tachoungenauigkeit, zum anderen für Abstandsschwankungen und Ablesefehler.[26] Im Zweifel wird zur Ermittlung der Toleranz die Hinzuziehung eines messtechnischen Sachverständigen geboten sein.[27]

Bei ungeeichtem Tachometer wird regelmäßig ein Sicherheitsabschlag von 20 % vorgenommen. Jedoch handelt es sich bei den Toleranzabzügen um keine starren Werte. Will ein Gericht jedoch von den bislang anerkannten Abzügen abweichen, bedarf es einer eingehenden und fundierten Begründung.[28] Auch das Ablesen der Geschwindigkeit von einem Navigationsgerät oder einer DashCam mit GPS ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Es bedarf aber auch hier genauer Ausführungen in den Urteilsgründen zur Art des Gerätes bzw. zur Ermittlung der Geschwindigkeit.[29] Insbesondere bei Verfolgungsfahrten zu Nachtzeiten verbietet sich ein pauschales Vorgehen mit der "Faustformel 20 % Abzug". Das Tatgericht hat hier bereits einen höheren Darstellungsaufwand zu den Beleuchtungs- und Sichtverhältnissen und muss die im Einzelnen vorliegenden Unwägbarkeiten besonders genau herausarbeiten.[30]

 

Rz. 14

 

Praxistipp

Zunächst hat die Verteidigung also zu prüfen, ob die Messung grundsätzlich verwertbar ist. Hierzu sind mindestens folgende Kriterien abzuprüfen:

die gefahrene Eigengeschwindigkeit,
die Länge der Messstrecke,
die Größe und Konstanz des Abstandes zum Betroffenen,
Anhaltspunkte für einen gleichbleibenden Abstand,
Zeitpunkt der Eichung des Tachometers,
Beschaffenheit der Reifen, Luftdruck,
Sichtbedingungen,
Vorgaben der einschlägigen Polizeirichtlinie.

Im Rahmen der Zeugenbefragung der Messbeamten gilt es auch auf folgende Punkte zu achten:

Verkehrsgeschehen zum Zeitpunkt der Messung,
Beschilderung des Tatortes,
Chronologischer Ablauf der Messung,
Zeitpunkt der schriftlichen Fixierung des Sachverhaltes,
Art und Weise der Aufgabenteilung zwischen den Messbeamten,
Anzahl der messenden Polizisten.

Ein einzelner Beamter, welcher bereits das Fahrzeug sicher im Straßenverkehr führen muss, wird hinsichtlich der Fülle an gleichzeitig zu beachtender Kriterien kaum in der Lage sein, alles Erforderliche zu beachten.

Hinsichtlich des schließlich gebotenen Toleranzabzuges soll das Gericht vor allem für die im Einzelfall vorliegenden Besonderheiten sensibilisiert werden. Die Frage der Vornahme von Abzügen ist keine Rechtsfrage, sondern eine individuell zu entscheidende Tatfrage.

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