Rz. 19

In Familienverfahren ist das Risiko, dass falsche Angaben auffallen, aber besonders hoch wegen der regelmäßig anwendbaren Vorschrift des § 117 Abs. 2 S. 2 ZPO:

Zitat

"Die Erklärungen und Belege dürfen dem Gegner nur mit Zustimmung der Partei zugänglich gemacht werden, es sei denn, der Gegner hat gegen den Antragsteller nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts einen Anspruch auf Auskunft über Einkünfte und Vermögen des Antragstellers. Dem Antragsteller ist vor der Übermittlung seiner Erklärung an den Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Er ist über die Übermittlung seiner Erklärung zu unterrichten."

 

Rz. 20

Es reicht aus, dass der Antragsgegner gegen den Antragsteller einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Auskunft über die Einkünfte und das Vermögen des Antragstellers hat, der in familiengerichtlichen Verfahren in aller Regel nach §§ 1361 Abs. 4 S. 4, 1580, 1605 Abs. 1 S. 1 BGB gegeben ist. Nach dem Gesetzeswortlaut genügt also die Existenz des Auskunftsanspruchs nach den Vorschriften des BGB.[12] Dieser Anspruch muss nicht konkret fällig sein,[13] so dass weder ein Auskunftsverlangen des Auskunftsberechtigten (§ 1605 Abs. 1 S. 1 BGB) oder gar die gerichtliche Durchsetzung erforderlich ist[14] noch die Zweijahresfrist des § 1605 Abs. 2 BGB zu beachten ist.[15] Auch kommt es nicht darauf an, ob die Auskunft vom Anspruchsberechtigten tatsächlich verlangt werden kann (dazu müsste sie zur Durchsetzung seiner Unterhaltsforderung tatsächlich erforderlich sein).

 

Rz. 21

Danach kann das Gericht in fast allen familienrechtlichen Verfahren die Erklärungen des VKH-Antragstellers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einschließlich der vorgelegten Belege, auch ohne dessen Zustimmung dem Verfahrensgegner zugängig machen.

 

Rz. 22

 

Praxistipp:

Der beratende Anwalt sollte seinen Mandanten von Anfang an über diese Möglichkeit des Gerichts aufklären.

Gerade bei streitigen familienrechtlichen Verfahren ist nicht ausgeschlossen, dass der Verfahrensgegner mit großer Freude nach unvollständigen oder gar unrichtigen Angaben suchen wird.

Es ist mehr als peinlich, wenn nach einer Information des Gerichtes über die beabsichtigte Weitergabe ein berichtigtes Formular eingereicht werden muss oder sich gar später aufgrund einer Intervention des Gegners Unrichtigkeiten ergeben.

Auch sollte in Unterhaltsverfahren verstärkt darauf geachtet werden, dass sich keine Abweichungen zwischen den Angaben zur VKH und den Ausführungen zum Unterhaltsanspruch ergeben.[16]

 

Rz. 23

Dem Beteiligten, dessen Unterlagen weitergeleitet werden sollen, ist lediglich vor der Übermittlung seiner Erklärung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§ 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 117 Abs. 2 S. 4 ZPO). Seine Zustimmung ist nicht erforderlich.[17]

 

Rz. 24

 

Praxistipp:

Ein Rechtsmittel sieht das Gesetz ebenso wenig vor wie eine rechtsmittelfähige Entscheidung vor der Weitergabe.[18]

Dagegen gehen verschiedene OLG von der Beschwerdefähigkeit aus.[19]

Selbst wenn eine Beschwerde zulässig sein sollte, ist sie jedenfalls unbegründet, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Weitergabe gegeben sind.

Die Übermittlung der Unterlagen steht im Ermessen des Gerichts; hierauf besteht kein Anspruch des Verfahrensgegners.[20] Dem Gegner steht auch kein Beschwerderecht gegen die Ablehnung der Einsicht zu.[21]

[12] OLG Bremen FamRZ 2012, 649 = FuR 2012, 195; OLG Koblenz FamRZ 2011, 389; Stößer in Prütting/Helms, FamFG, 2. Aufl., § 77 Rn 4; Keske in Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, 3. Aufl. 2012, § 76 Rn 56; Haußleiter in FamFG, 2011, § 77 Rn 4; Götsche in Horndasch/Viefhues, FamFG, 2. Aufl. 2010, § 76 Rn 115; differenzierend Harms in HK-FamFG, 2011, § 76 Rn 17.
[13] Vgl. Viefhues in MüKo-FamFG, § 77 Rn 5; OLG Bremen FamRZ 2012, 649 = FuR 2012, 195.
[14] OLG Koblenz FamRZ 2011, 389; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 2013, § 117 Rn 6; vgl. Viefhues in MüKo-FamFG, § 77 Rn 5; OLG Bremen FamRZ 2012, 649.
[15] OLG Bremen FamRZ 2012, 649 = FuR 2012, 195 m.w.N.
[16] Geißler, Handbuch FAFamR 8. Aufl. 2013, Kap. 16 Rn 117.
[17] Fölsch, § 8 Rn 41; Vogel, FPR 2009, 381, 384.
[18] Härtl, NZFam 2014, 1032, 1033.
[21] BGH v. 29.4.2015 – XII ZB 214/14, FamRZ 2015, 1176; OLG Nürnberg FuR Heft 2015, 300; Fölsch, § 10 Rn 2.

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