Rz. 74
Wird im gerichtlichen Verfahren lediglich über nicht anhängige Gegenstände verhandelt, ohne dass es zu einer Einigung kommt, entsteht dort die Verfahrensgebühr der Nr. 3100 VV gem. Nr. 3101 Nr. 2, 2. Alt. VV nur in Höhe von 0,8 (siehe § 13 Rdn 247 ff.). Kommt es danach zu einem gerichtlichen Verfahren, wird die 0,8-Gebühr bzw. der sich nach § 15 Abs. 3 RVG ergebende Gesamtbetrag, soweit er eine Gebühr aus dem anhängigen Wert übersteigt, auf eine nachfolgende Verfahrensgebühr angerechnet (Anm. Abs. 1 zu Nr. 3101 VV). Kommt es nach den erfolglosen Verhandlungen zu einer außergerichtlichen Tätigkeit, geht das RVG den umgekehrten Weg. Die nachträglich entstehende Geschäftsgebühr wird hälftig auf die zuvor entstandene Verfahrensgebühr angerechnet, höchstens aber zu 0,75 (Vorbem. 3 Abs. 4 VV).
Rz. 75
Die wörtliche Anwendung der Vorschrift würde dazu führen, dass "rückwärts" angerechnet wird, dass also bereits entstandene verdiente und bezahlte Gebühren sich nachträglich wieder durch Anrechnung reduzieren würden. Dies würde dazu führen, dass der Anwalt im Nachhinein für bereits geleistete Tätigkeiten eine Gutschrift erteilen müsste, die dann wiederum auf die folgende Tätigkeit zu verrechnen wäre. Da nach dem neuen § 15a Abs. 1 RVG jedoch jede Gebühr für sich selbstständig ist, kann, wenn die Verfahrensgebühr bereits abgerechnet ist, die Anrechnung auch bei der Geschäftsgebühr vorgenommen werden.
Beispiel 47: Anrechnung auf vorangegangene Verfahrensgebühr bei bloßem Verhandeln über nicht anhängige Gegenstände
In einem Rechtsstreit über 10.000,00 EUR verhandeln die Parteien über die anhängigen 10.000,00 EUR sowie weitere nicht anhängige 8.000,00 EUR, wegen der der Anwalt bislang außergerichtlich nicht tätig war. Eine Einigung scheitert. Es wird dann über die 10.000,00 EUR durch Urteil entschieden. Wegen der 8.000,00 EUR wird der Anwalt nunmehr außergerichtlich beauftragt. Insoweit soll von der Mittelgebühr ausgegangen werden.
Die Geschäftsgebühr ist nunmehr auf die 0,8-Verfahrensgebühr der Nrn. 3100, 3101 VV anzurechnen (zum Verhältnis zu § 15 Abs. 3 RVG in diesem Falle siehe oben Rdn 69). Soweit die Verfahrensgebühr noch nicht abgerechnet bzw. noch nicht bezahlt worden ist, kann wie folgt abgerechnet werden:
I. |
Gerichtliches Verfahren |
|
|
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
|
798,20 EUR |
|
(Wert: 10.000,00 EUR) |
|
|
2. |
0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV |
|
401,60 EUR |
|
(Wert: 8.000,00 EUR) |
|
|
3. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, |
|
– 376,50 EUR |
|
0,75 aus 8.000,00 EUR |
|
|
|
die Grenze des. § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als |
|
|
|
1,3 aus 18.000,00 EUR 1.001,00 EUR), |
|
|
|
ist nicht überschritten |
|
|
4. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
|
924,00 EUR |
|
(Wert: 18.000,00 EUR) |
|
|
5. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
1.767,30 EUR |
|
6. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
335,79 EUR |
Gesamt |
|
2.103,09 EUR |
II. |
Außergerichtliche Vertretung |
|
|
1. |
1,5-Geschäftgebühr, Nr. 2300 VV |
|
753,00 EUR |
|
(Wert: 8.000,00 EUR) |
|
|
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
773,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
146,87 EUR |
Gesamt |
|
919,87 EUR |
Gesamt I. + II. |
|
3.022,96 EUR |
Hatte der Anwalt die gerichtliche Tätigkeit bereits abgerechnet oder gar vereinnahmt, ist gem. § 15a Abs. 1 RVG die Anrechnung jetzt bei der nachfolgenden Geschäftsgebühr vorzunehmen. Es ist dann wie folgt abzurechnen:
I. |
Gerichtliches Verfahren |
|
|
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
798,20 EUR |
|
|
(Wert: 10.000,00 EUR) |
|
|
2. |
0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV |
401,60 EUR |
|
|
(Wert: 8.000,00 EUR) |
|
|
|
gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als |
|
1.001,00 EUR |
|
1,3 aus 18.000,00 EUR |
|
|
3. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
|
924,00 EUR |
|
(Wert: 18.000,00 EUR) |
|
|
4. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
1.945,00 EUR |
|
5. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
369,55 EUR |
Gesamt |
|
2.314,55 EUR |
II. |
Außergerichtliche Vertretung |
|
|
1. |
1,5-Geschäftgebühr, Nr. 2300 VV |
|
753,00 EUR |
|
(Wert: 8.000,00 EUR) |
|
|
2. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, |
|
– 376,50 EUR |
|
0,75 aus 8.000,00 EUR |
|
|
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
396,50 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
75,34 EUR |
Gesamt |
|
471,84 EUR |
Gesamt I. + II. |
|
2.786,39 EUR |