Sebastian Kubik, Dr. iur. Franz-Thomas Roßmann
Rz. 34
Ist ein Beteiligter wegen Mittellosigkeit gehindert, die Beschwerdefrist einzuhalten, entfällt das Hindernis für die Einlegung des Rechtsmittels grundsätzlich mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe, so dass der Lauf der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO zu diesem Zeitpunkt beginnt.
Innerhalb dieser Frist muss Wiedereinsetzung beim Beschwerdegericht beantragt werden und das Rechtsmittel (beim Familiengericht) ist in der Wiedereinsetzungsfrist einzulegen.
Problematisch bzw. "schädlich" war in der Vergangenheit, dem VKH-Antrag bereits einen vollständigen Entwurf der Beschwerdebegründungsschrift beizufügen.
Rz. 35
Die Rechtsprechung verneinte in solchen Fällen die Kausalität der Mittellosigkeit für die Fristversäumung (entweder der Frist zur Einlegung der Beschwerde nach § 63 FamFG oder derjenigen zur Begründung derselben nach § 117 Abs. 1 S. 3 FamFG): "Versäumt eine mittellose Partei die Frist zur Begründung der Berufung, so kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe nur in Betracht, wenn die Mittellosigkeit für die Fristversäumung kausal geworden ist. Dies ist nicht der Fall, wenn der beim Berufungsgericht zugelassene Rechtsanwalt bereit war, die Berufung auch ohne die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu begründen, was der Tatsache entnommen werden kann, dass vor Ablauf der Frist eine vollständige, allerdings als "Entwurf" bezeichnete Berufungsbegründungsschrift eingereicht wurde."
Rz. 36
Der BGH hat diese Rechtsprechung geändert:
Zitat
"Versäumt eine mittellose Partei die Frist zur Begründung der Berufung, so kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe nur in Betracht, wenn die Mittellosigkeit für die Fristversäumung kausal geworden ist. Ist die Partei bei einer unbeschränkten Einlegung der Berufung bereits anwaltlich vertreten und reicht ihr Rechtsanwalt zur Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eine vollständige, allerdings als "Entwurf" bezeichnete und nicht unterzeichnete Berufungsbegründungsschrift ein, kann die mittellose Partei dessen ungeachtet glaubhaft machen, dass der Anwalt nicht bereit war, die Berufung ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe ordnungsgemäß und insbesondere fristgerecht zu begründen."
Rz. 37
Der Rechtsprechungsänderung (und auch deren Begründung) ist zuzustimmen. Nach § 78 ZPO (bzw. im Familienrecht nach § 114 FamFG) benötigen die Beteiligten in bestimmten Verfahren einen Rechtsanwalt, um ihre ordnungsgemäße Vertretung zu gewährleisten. Zu seinen Aufgaben zählt die Anfertigung von Schriftsätzen, für welche er die Verantwortung übernehmen muss; daneben ist er verantwortlich für die gesamte Verfahrensführung für seine Partei. Von einer Wahrnehmung all dieser Aufgaben kann nicht ausgegangen werden, wenn der Rechtsanwalt sich mit Blick auf den VKH-Antrag ausdrücklich darauf beschränkt, dem Gericht einen nicht unterzeichneten Schriftsatzentwurf zur Erläuterung des allein ordnungsgemäß gestellten Antrags auf VKH zur Verfügung zu stellen. Damit wird deutlich, dass der Rechtsanwalt bis zur Entscheidung über das VKH-Gesuch nicht bereit ist, anderweitige Verfahrenshandlungen zur Förderung des Beschwerdeverfahrens vorzunehmen. Damit ist die Mittellosigkeit für die Fristversäumung kausal, so dass nach §§ 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. 233 ff. ZPO Wiedereinsetzung zu gewähren ist.
Rz. 38
Praxistipp
Anwaltlich ist auf alle Fälle sicherzustellen, dass die Bedürftigkeit durch Vorlage einer aktuellen und vollständigen Erklärung über die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse glaubhaft gemacht wird. Möglich ist im Einzelfall auch eine konkrete Bezugnahme auf die in erster Instanz vorgelegten Erklärungen. Fehlt es daran, ist eine Wiedereinsetzung nicht möglich.
Eine arme Partei, die ein Rechtsmittel einlegen will, hat grundsätzlich Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn sie ihr Prozesskostenhilfegesuch bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eingereicht hatte. Das setzt allerdings voraus, dass dem Antrag auf Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Rechtsmittelverfahrens innerhalb der Rechtsmittelfrist neben der ausgefüllten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auch die insoweit notwendigen Belege beigefügt waren (…).