Sebastian Kubik, Dr. iur. Franz-Thomas Roßmann
Rz. 462
Die Anforderungen an eine schuldlose Versäumung einer Notfrist oder einer Frist zur Begründung der Beschwerde bzw. Rechtsbeschwerde sind hoch. So muss ein Rechtsanwalt auch bei einer unvorhergesehenen Erkrankung alle ihm dann noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Frist ergreifen. An einer schuldhaften Fristversäumung fehlt es nur dann, wenn infolge der Erkrankung weder kurzfristig ein Vertreter eingeschaltet noch ein Fristverlängerungsantrag gestellt werden konnte. Dies muss glaubhaft gemacht werden.
Rz. 463
Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen auszuschließen. In der Organisation des Fristenwesens einer Anwaltskanzlei muss deshalb insbesondere gewährleistet sein, dass außer der eigentlichen Rechtsmittelbegründungsfrist auch eine Vorfrist notiert wird, mit der sichergestellt werden soll, dass dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt für die Fertigung der Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelbegründung hinreichend Zeit verbleibt. Auf diese Weise kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleistet werden, wenn die Eintragung der ursprünglichen Frist versehentlich gelöscht worden oder die Eintragung der versehentlich unterblieben ist.
Rz. 464
Die Beschwerdebegründung muss – wie bereits erwähnt – seit dem 1.1.2022 in Form eines elektronischen Dokuments erfolgen.
Die Missachtung dieser Verpflichtung führt zur Formunwirksamkeit der beabsichtigten Verfahrenshandlung und damit unter Umständen zu fehlender Fristwahrung. Nur wenn dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist mit der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen.
Rz. 465
Achtung!
"Unverzüglich" ist die vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung glaubhaft zu machen.
Sollte die Glaubhaftmachung 3 ½ Wochen in Anspruch nehmen, ist dies jedenfalls nicht mehr unverzüglich.
Unverzüglich bedeutet entsprechend der Legaldefinition nach § 121 Abs. 1 BGB, dass ohne schuldhaftes Zögern die Glaubhaftmachung erfolgen muss.
Rz. 466
Praxistipp
Die Anforderungen an die Beschwerdebegründung sind sehr hoch. Dies ergibt sich aus der bereits dargestellten entsprechenden Anwendung des § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO. Deshalb werden die Fristen für die Beschwerdebegründung in der Praxis regelmäßig ausgeschöpft. Allerdings ist Anwälten zu empfehlen, eine ausreichende Zeitreserve für die Übermittlung der Beschwerdebegründung einzuplanen, da eine Überschreitung der Frist die Rechtskraft der Ausgangsentscheidung auslöst und die Gerichte einen Wiedereinsetzungsantrag sehr restriktiv beurteilen.