Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 55
Weitere Voraussetzung für die Pflichtteilsentziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB ist, dass wegen der begangenen vorsätzlichen Straftat dem Erblasser die Teilhabe des Pflichtteilsberechtigten am Nachlass unzumutbar sein muss. Aufgrund der verfassungsgerichtlichen Vorgabe meinte der Gesetzgeber, diese subjektive Voraussetzung für die Pflichtteilsentziehung einführen zu müssen. Denn die Entziehung dürfe nicht völlig von dem Schutz der Familie abgekoppelt werden, welcher der tragende Grund für den verfassungsrechtlichen Schutz des Pflichtteilsrechts sei. Eine Unzumutbarkeit in diesem Sinne liege vor, wenn die Straftat den persönlichen in der Familie gelebten Wertvorstellungen des Erblassers in hohem Maße widerspricht. Bei besonders schweren Straftaten, welche mit erheblichen Freiheitsstrafen geahndet werden, liege dies jedoch i.d.R. nahe. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass eine Art Wechselwirkung zwischen der Schwere der Tat und der Unzumutbarkeit der Nachlassteilhabe besteht. Dagegen fehle es an dem Widerspruch zu den persönlichen Wertvorstellungen des Erblassers und demnach an der erforderlichen Unzumutbarkeit, wenn sich der Erblasser selbst strafrechtlich relevant verhalten hat.
Rz. 56
Als Beispiel hierfür nennt die amtliche Gesetzesbegründung, wenn der Erblasser an der Straftat des Pflichtteilsberechtigten selbst beteiligt war, z.B. als Mittäter des Drogenhandels seines Sohnes. Dies wird man jedoch dahingehend präzisieren müssen, dass der Erblasser und der Pflichtteilsberechtigte sich in ähnlicher Weise kriminell verhalten haben. Begeht der Erblasser etwa eine Steuerhinterziehung, so ist ihm dennoch eine Nachlassteilhabe seines Sohnes nicht zumutbar, der einen Mord begeht. Nach der Gesetzesbegründung ist auch eine Pflichtteilsentziehung möglich, wenn der Erblasser Jahrzehnte vor der Tat des Pflichtteilsberechtigten ähnliche Straftaten begangen habe, sich später aber eindeutig davon distanziert hat.
Rz. 57
Aus der amtlichen Gesetzesbegründung kann man schließen, dass sich der Erblasser bei der Unzumutbarkeit nicht allein von allgemeinen Wertvorstellungen leiten lassen darf, sondern sich vorrangig auf die konkret in der Familie gelebten Werte beziehen muss. Hieraus, aber auch bereits aus dem sehr unbestimmten Begriff der Unzumutbarkeit, entsteht die nicht zu unterschätzende Gefahr, dass es zu einer nicht prognostizierbaren Einzelfallrechtsprechung mit einer damit einhergehenden Rechtsunsicherheit kommt.