Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 83
Selbst die begründete Entziehungsverfügung wird erst mit Eintritt des Erbfalls wirksam, da bis dahin auch noch eine Verzeihung (§ 2337 BGB) erfolgen kann.
Rz. 84
Die wirksame Pflichtteilsentziehung führt zum Erlöschen sämtlicher Pflichtteilsrechte, die dem betreffenden Abkömmling zustehen können, also auch bezüglich des Pflichtteilsrestanspruchs (§§ 2305, 2307 BGB), des Pflichtteilsergänzungsanspruchs (§§ 2325, 2329 BGB) und des diese Ansprüche vorbereitenden Auskunfts- und Wertermittlungsanspruchs nach § 2314 BGB. Der Erblasser erlangt dadurch auch gegen den betreffenden Pflichtteilsberechtigten insoweit volle Testierfreiheit, als er bei Vorliegen der Voraussetzungen zur Pflichtteilsentziehung berechtigt ist, die in einem gemeinschaftlichen Testament bindend gewordenen wechselbezüglichen Verfügungen aufzuheben und von den vertraglichen Verfügungen eines Erbvertrages zurückzutreten (§§ 2271 Abs. 2 S. 2, 2294 BGB). Weiter ist er auch befugt, dann auch die Anordnungen nach § 2338 BGB über die Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht zu treffen. Der Erblasser kann dem Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteil auch nur teilweise entziehen. Soweit der betreffende Pflichtteilsberechtigte Abkömmlinge hinterlässt, treten diese aber nach Maßgabe des § 2309 BGB an seine Stelle. Daher führt die Pflichtteilsentziehung auch nicht zur Erhöhung der Pflichtteilsquote anderer Pflichtteilsberechtigter. Vielmehr wird der von einer Pflichtteilsentziehung betroffene Berechtigte bei der Pflichtteilsberechnung der übrigen Pflichtteilsberechtigten noch mitgezählt (§ 2310 S. 1 BGB).
Rz. 85
Praxishinweis
Dadurch, dass die Pflichtteilsentziehung wegen § 2309 BGB nicht gegen die Abkömmlinge des Pflichtteilsberechtigten wirkt, ist es u.U. für den Erblasser und seine Erben besser, wenn der Pflichtteil nicht entzogen wird. Dies ist dann der Fall, wenn zumindest in Höhe des Pflichtteils dem Erblasser und damit auch seinen Erben ein Schadensersatzanspruch gegen den betreffenden Pflichtteilsberechtigten zusteht, mit dem dann im Erbfall gegen den Pflichtteil aufgerechnet werden könnte. Allerdings ist das sich u.U. stellende Verjährungsproblem zu beachten.
Rz. 86
Die Pflichtteilsentziehung erschöpft sich oftmals nicht in ihren eigentlichen Wirkungen. In der Regel ist mit ihr immer zugleich eine schlüssige Enterbung (§ 1938 BGB) verbunden. Anderes ist aber dann anzunehmen, wenn nach dem Erblasserwillen die Pflichtteilsentziehung oder -beschränkung angeordnet wird, um zu verhindern, dass der Pflichtteilsberechtigte eine ihn belastende Erbschaft nach § 2306 Abs. 1 BGB ausschlägt. Liegen aber – wie im Regelfall – Pflichtteilsentziehung und Enterbung vor, so handelt es sich um zwei grundsätzlich selbstständige Regelungen; daher beseitigt das Unwirksamwerden der Pflichtteilsentziehung noch nicht die in derselben Verfügung meist mitenthaltene Enterbung (§ 1938 BGB). Jedoch kommt u.U. eine Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB infrage, um die Erbeinsetzung entfallen zu lassen. Hat der Erblasser einem möglichen gesetzlichen Erben, der selbst nicht pflichtteilsberechtigt ist, durch letztwillige Verfügung den "Pflichtteil entzogen", so liegt darin regelmäßig der Ausschluss des Betroffenen von der gesetzlichen Erbfolge gem. § 1938 BGB.