Dr. iur. Nikolas Hölscher
aa) Allgemeines; Entziehung des Pflichtteils der Kinder
Rz. 40
Lediglich die Verletzung einer gegenüber dem Erblasser bestehenden Unterhaltspflicht kann diesen Tatbestand erfüllen, nicht aber gegenüber dem anderen Elternteil.
Rz. 41
Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Unterhaltspflicht" hat sich eng an den unterhaltsrechtlichen Regelungen auszurichten. Dieser Entziehungsgrund setzt bezüglich des Pflichtteils der Abkömmlinge ein Vierfaches voraus: (1) die Bedürftigkeit des Erblassers i.S.v. §§ 1602 Abs. 1, 1606 BGB, (2) die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten, (3) die Kenntnis des Verpflichteten von der Bedürftigkeit des Erblassers und (4) die böswillige Verweigerung des Unterhalts aus verwerflichen Gründen. Da nur der auf Unterhaltsleistungen seiner Abkömmlinge angewiesen ist (§ 1606 BGB), wer kein nennenswertes Vermögen hat, ist dieser Entziehungsgrund hinsichtlich des Pflichtteils der Abkömmlinge ohne praktische Bedeutung. Daran hat sich auch durch die Reform nichts geändert. Wenn Enkel gegenüber den Großeltern nicht den zivilrechtlich geschuldeten Unterhalt leisten, sondern diese auf die Inanspruchnahme von Sozialhilfe verweisen, soll dies aber den Großeltern noch nicht die Pflichtteilsentziehung ermöglichen, weil sozialhilferechtlich für diese keine Einstandspflicht besteht (§ 94 Abs. 1 S. 3 SGB XII). Dies ist m.E. nicht zutreffend, weil die angesprochene Regressmöglichkeit des Sozialhilfeträgers von der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht hier gerade zu unterscheiden ist, um die es bei der Entziehungsberechtigung allein geht.
Rz. 42
Da der Unterhalt von den Abkömmlingen grundsätzlich in Geld geschuldet ist (§ 1612 BGB), berechtigt die Verweigerung persönlicher Pflegeleistung bei Alter oder Krankheit nicht zur Pflichtteilsentziehung. Erforderlich ist eine "böswillige" Verletzung der Unterhaltspflicht. Hierfür genügt nicht die bloße Leistungsverweigerung, sondern diese muss auf einer verwerflichen Gesinnung beruhen. Dabei ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Für die Beurteilung ist hierbei nicht nur der materielle, sondern auch der moralische Schaden, den der Erblasser erlitten hat, zu berücksichtigen. Obgleich dies aus systematischen Gründen nahegelegen hätte, hat der Reformgesetzgeber dieses ohnehin sehr unbestimmte Tatbestandsmerkmal nicht durch den in § 1611 BGB verwendeten Begriff "gröblich" ersetzt. Ebenso wenig hat er auf die vereinzelt geäußerte Kritik reagiert, ob das Kriterium der "Böswilligkeit" mit der Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 19.4.2005 in Einklang zu bringen ist.
bb) Entziehung des Elternpflichtteils
Rz. 43
Diesbezüglich ist zu berücksichtigen, dass die Eltern gegenüber ihren unverheirateten Kindern grundsätzlich die Art der Unterhaltsgewährung frei bestimmen dürfen (§ 1612 Abs. 2 S. 1 BGB). Daher berechtigt nicht zur Pflichtteilsentziehung, wenn ausreichende Mittel für die Heimunterbringung der Kinder zur Verfügung gestellt werden. Jedoch kann eine Verletzung der Unterhaltspflicht vorliegen, wenn einem Abkömmling keine angemessene Ausbildung ermöglicht wird (§ 1610 Abs. 2 S. 1 BGB) oder auch bei Verweigerung oder schwer wiegender Vernachlässigung der Erziehung, Berufsfortbildung (§ 1610 Abs. 2 BGB) oder Nichtgewährung von Naturalleistungen, weil der Unterhalt der Eltern gegenüber ihren Kindern den gesamten Lebensbedarf umfasst (§§ 1610 Abs. 2, 1606 Abs. 3 S. 2 BGB). Ein Missbrauch der elterlichen Sorge berechtigt aber nicht zur Pflichtteilsentziehung, obgleich ein solches Verhalten im Einzelfall zur Ersetzung der Einwilligung in eine Annahme als Kind (§ 1748 BGB) berechtigen würde. Dies ist mit den heutigen Wertvorstellungen nicht vereinbar. Nur in Ausnahmefällen löst § 170 StGB i.V.m. dem Entziehungsgrund des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB derartige Probleme.
cc) Entziehung des Pflichtteils von Ehegatten und Lebenspartnern
Rz. 44
Die böswillige Verletzung der Unterhaltspflicht ist hinsichtlich ihrer konkreten Auswirkungen bei der Entziehung des Pflichtteils von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern anders. Denn das Unte...