Rz. 357
Entscheidend für die Bewertung der Verfügung von Todes wegen ist deren Gesamtcharakter, für den sowohl Inhalt und Wirkungen als auch der Beweggrund des Erblassers und der verfolgte Zweck maßgebend sind.[420] Nach der Rechtsprechung des BGH kann die Zuwendung schon dann gültig sein, wenn neben einer erotischen Beziehung zu einem Partner auch andere achtenswerte Beweggründe maßgebend waren, wenn die Verfügung nicht allein die Belohnung für den intimen Umgang oder die Bestärkung der Fortsetzung der Beziehung bezweckte (Beispiel: Unterstützung im Betrieb, Pflege im Krankheitsfall). Es kommt entscheidend auf die Auswirkungen der Verfügung für den Bedachten einerseits und für die Zurückgesetzten andererseits an.[421]
Rz. 358
Seit der Entscheidung des BGH vom 31.3.1970[422] ist in der Rechtsprechung geklärt, dass eine Verfügung von Todes wegen nicht schon deshalb sittenwidrig ist, weil zwischen dem Erblasser und der Bedachten ein außereheliches Liebesverhältnis bestanden hat, gleichgültig, ob einer der beiden oder beide verheiratet waren; vielmehr greift § 138 Abs. 1 BGB nur ein, wenn die Zuwendung ausschließlich den Zweck hatte, geschlechtliche Hingabe zu belohnen oder zu fördern.[423] Offen ist, ob sich dieses Ergebnis heute wegen der gesetzlichen Wertung des § 1 ProstG[424] – wonach eine rechtswirksame Forderung begründet wird, wenn sexuelle Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen werden – überhaupt noch aufrechterhalten lässt.[425]
Rz. 359
Bezüglich des zweiten Aspektes des "Geliebtentestaments", der sittenwidrigen Zurücksetzung von Angehörigen, gilt, dass das Erbrecht des BGB vom Grundsatz der Testierfreiheit beherrscht ist, der seinerseits unter dem Schutz der Erbrechtsgarantie des Grundgesetzes steht. In der Freiheit, über sein Vermögen letztwillig zu verfügen, wird ein Erblasser regelmäßig weder durch moralische Pflichten gegenüber Personen, die ihm nahestanden und für ihn sorgten, noch durch das der gesetzlichen Erbfolge zugrunde liegende sittliche Prinzip beschränkt. Der Wille des Erblassers geht grundsätzlich vor.[426]
Rz. 360
Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit einer letztwilligen Verfügung kann daher nur in besonders hervorstechenden, d.h. schwerwiegenden, Ausnahmefällen angenommen werden.[427]
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