Rz. 476
Eine in einem Berliner Testament vorgesehene Verwirkungsklausel für den Fall, dass ein Berechtigter nach dem Ableben des ersten Elternteils den Pflichtteil verlangt, kann dahin gehend auszulegen sein, dass ein "Verlangen des Pflichtteils" bereits dann vorliegt, wenn ein als Schlusserbe eingesetzter Abkömmling nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils dem überlebenden Elternteil die Zahlung des Pflichtteils als hochverzinsliches Darlehen stundet und diesen Anspruch durch eine Grundschuld absichern lässt.
Rz. 477
Bei einem Berliner Testament mit Verwirkungsklausel (Pflichtteilsklausel) kann der Eintritt der auflösenden Bedingung grundsätzlich auch nach dem Tod des längstlebenden Ehegatten, nach Annahme der Schlusserbschaft und nach Verjährung des Pflichtteilsanspruchs nach dem Erstverstorbenen herbeigeführt werden.
Anders OLG Stuttgart: Enthält ein Erbvertrag (oder ein Testament) eine Pflichtteilsklausel mit einer aufschiebend bedingten Enterbung, so kann ein Pflichtteilsverlangen auf den Tod des Zuerststerbenden nur bis zum Tod des Letztversterbenden zum Ausschluss der gesetzlichen Erbfolge führen.
Rz. 478
Ein sehr kritisch zu sehendes Urteil des OLG Frankfurt:
Zitat
1. Eine Pflichtteilsstrafklausel in einem gemeinschaftlichen Testament ("Sollte eines der Kinder auf Auszahlung seines Pflichtteils bestehen, so soll es auch nach Ableben des überlebenden Ehepartners nur einen Pflichtteil bekommen.") kommt auch dann zur Anwendung, wenn alle Pflichtteilsberechtigten ihre Pflichtteilsansprüche vereint geltend machten.
2. Denn die Pflichtteilsstrafklausel soll nicht allein die Übervorteilung eines Pflichtteilsberechtigten gegenüber den übrigen verhindern, sondern dient vor allem der wirtschaftlichen Absicherung des überlebenden Ehegatten. An dieser Beurteilung ändert sich nichts dadurch, dass die Geltendmachung der Pflichtteilsansprüche im Einvernehmen mit dem überlebenden Ehegatten erfolgt.“
Rz. 479
Ein "Verlangen des Pflichtteils" im Sinne einer Pflichtteilsstrafklausel kann auch dann vorliegen, wenn der Anspruch aufgrund eines zuvor erfolgten Erlasses objektiv nicht mehr bestand, so OLG München. Im entschiedenen Fall hatten Eheleute in ihr gemeinschaftliches Testament, wonach sie sich gegenseitig zu Alleinerben und die Kinder zu Schlusserben eingesetzt hatten, folgende Pflichtteilsklausel aufgenommen:
OLG München, Beschl. v. 29.1.2008 – 31 Wx 68/07:
Zitat
"Verlangt eines unserer Kinder vom Nachlass des Erstversterbenden seinen Pflichtteil, so soll es auch vom Nachlass des Überlebenden nur den Pflichtteil erhalten. Verlangt ein Abkömmling den Pflichtteil beim ersten Erbfall, so erhalten die anderen Abkömmlinge, falls sie als gesetzliche Erben berufen werden (sic; richtig wohl: wären), ein Vermächtnis in Höhe des gesetzlichen Erbteils aus dem Nachlass des Erstversterbenden, das beim Tode des überlebenden Elternteils fällig wird und bis dahin unverzinslich ist."
Nach dem Tod des Erstversterbenden erklärten zwei Kinder (hier: Beteiligte 1 und 2) im Rahmen des Nachlassverfahrens in Österreich zu Urkunde des zuständigen Notars, "dass sie keinerlei Pflichtteils- und sonstige Ansprüche gegen den Nachlass oder den Erben stellen". Trotzdem machten sie später im Mahnverfahren Pflichtteilsansprüche geltend. Im Erbscheinsverfahren war zu klären, ob sie nunmehr trotz des erklärten Erlassvertrags aufgrund der Pflichtteilsklausel als Erben am überlebenden Elternteil ausgeschlossen waren. Das OLG München kam zum Ergebnis, dass die Pflichtteilsklausel greift.