I. Allgemeines
Rz. 568
Bei Erbenfeststellungsklagen kommt sehr häufig die Einholung von Sachverständigengutachten in Betracht, bspw. zur Frage der Geschäfts- und Testierfähigkeit, zu sonstigen medizinischen Fragen, zur Echtheit einer Urkunde und dergleichen. Da der Sachverständige in vielen Fällen auf andere Beweismittel angewiesen ist, bspw. auf die Wahrnehmungen von Angehörigen über das Verhalten des Erblassers, wenn es um Fragen der Geschäfts- und Testierfähigkeit geht, könnte im Einzelfall die Gefahr bestehen, dass ein Beweismittel verloren geht, bspw. wenn der zu vernehmende Zeuge schwer erkrankt ist und die Gefahr besteht, dass er noch vor der eigentlichen Zeugenvernehmung vernehmungsunfähig wird. In solchen Fällen kommen Beweiserhebungen im selbstständigen Beweisverfahren nach §§ 485 ff. ZPO in Betracht.
Lebzeitige Feststellungen zum Geisteszustand des späteren Erblassers können u.U. in einem selbstständigen Beweisverfahren getroffen werden.
II. Zweiteilung des selbstständigen Beweisverfahrens
Rz. 569
Im selbstständigen Beweisverfahren sind zwei Fälle zu unterscheiden:
1. |
das Beweisverfahren vor Anhängigkeit eines Rechtsstreits, § 485 Abs. 2 ZPO, |
2. |
das Beweisverfahren während eines stattfindenden Rechtsstreits, § 485 Abs. 1 ZPO. |
1. Zweck des selbstständigen Beweisverfahrens
Rz. 570
Das selbstständige Beweisverfahren verfolgt verschiedene Zwecke:
(1) |
Beweissicherung, |
(2) |
Prozessvermeidung, |
(3) |
Beschleunigung einer Rechtsstreitigkeit, |
(4) |
Einwirkung auf die Verjährung. |
Rz. 571
Es dient der vorsorglichen Beweiserhebung entweder
(1) |
vor Beginn eines möglichen Prozesses – nur durch Sachverständigenbeweis (§ 485 Abs. 2 ZPO) – oder |
(2) |
während eines Rechtsstreits – durch
a) |
Augenscheinsbeweis |
b) |
Zeugenbeweis |
c) |
Sachverständigenbeweis wenn nicht angeordnet werden kann (§ 485 Abs. 1 ZPO). |
|
2. Selbstständiges (oder: "isoliertes") Beweisverfahren vor einem Rechtsstreit
a) Allgemeines
Rz. 572
Mit dieser Möglichkeit soll noch vor dem Eintritt in den Hauptsacheprozess der streitige Sachverhalt geklärt werden können.
§ 485 Abs. 2 ZPO
(2) Ist ein Rechtsstreit noch nicht anhängig, kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass
1. |
der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache, |
2. |
die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels, |
3. |
der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels |
festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.
Rz. 573
Ein streitiges Verfahren darf im Falle des isolierten selbstständigen Beweisverfahrens nicht anhängig sein. Anhängigkeit läge auch vor bei laufendem Mahnverfahren und bei Stellung eines PKH-Antrags mit gleichzeitiger Einreichung der Klage. Die Parteistellung im Hauptprozess ist unerheblich.
Rz. 574
Zielrichtung:
(1) |
Klärung von Streitfragen tatsächlicher Art durch Fachgutachten eines Sachverständigen vor Eintritt in den Hauptprozess; |
(2) |
dadurch Prozessvermeidung. |
b) Zulässigkeitsvoraussetzung: Rechtliches Interesse
Rz. 575
Vor der Anhängigkeit eines Rechtsstreits kommt eine von einem Beweissicherungsbedürfnis unabhängige Erhebung des Sachverständigenbeweises in Betracht, und zwar nur das schriftliche Sachverständigengutachten und kein anderer Beweisantritt. Grund für den Ausschluss anderer Beweismittel: Das Gesetz will die Durchbrechung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355 ZPO) im selbstständigen Beweisverfahren auf das hiervon am wenigsten betroffene schriftliche Gutachten beschränken. Gegen die Ablehnung der Einholung eines weiteren Gutachtens gem. § 412 ZPO ist auch im selbstständigen Beweisverfahren kein Rechtsmittel gegeben.
Hinweis
Um im konkreten Einzelfall den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung aufrecht zu erhalten, sollte das selbstständige Beweisverfahren beim Gericht des Hauptverfahrens durchgeführt werden.
Voraussetzung ist lediglich, dass der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der zu treffenden Feststellung hat. Ein solches ist insbesondere (aber nicht nur) dann anzunehmen, wenn
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die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann |
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bei drohender Verjährung die verjährungshemmende Wirkung erreicht werden soll, § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB. |
Steht die Verjährung bevor, so ist sie sehr häufig das einzige Motiv für das selbstständige Beweisverfahren und begründet damit ein rechtliches Interesse.
Rz. 576
Rechtliches Interesse: Feststellung durch Sachverständigengutachten zur Vermeidung eines Rechtsstreits.
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Bewertung im Pflichtteilsprozess |
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Bewertung lebzeitiger Vorempfänge |
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Bewertung bei der Teilungsanordnung |
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Bewertung beim Übernahmerecht |
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Bewert... |