1. Verlust führt nicht zur Ungültigkeit
Rz. 274
Als Grundsatz gilt: Gemäß § 352 FamFG ist zum Nachweis eines testamentarischen Erbrechts grundsätzlich die Urschrift der Urkunde vorzulegen, auf die das Erbrecht gestützt wird. Allerdings können aus einem verloren gegangenen Testament Rechte abgeleitet werden, denn für die Gültigkeit einer einmal wirksam errichteten letztwilligen Verfügung kommt es nicht auf die noch existierende Testamentsurkunde an.
Rz. 275
Vernichtet der Erblasser die Testamentsurkunde mit Widerrufswillen, so liegt darin ein wirksamer Widerruf (bspw.: Zerreißen, Verbrennen). Veränderungen sind Durchstreichen, Einreißen, Ungültigkeitsvermerke o.Ä. Wurde die Testamentsurkunde vom Erblasser vernichtet oder verändert, so gilt die – widerlegbare – Vermutung, er habe den Widerruf des Testaments bzw. der betreffenden Bestimmung beabsichtigt, § 2255 S. 2 BGB. Der Erblasser muss bei der entsprechenden Handlung testierfähig sein, § 2229 BGB.
Rz. 276
Für den Widerruf eines Testaments durch Vernichtung der Originalurkunde hat derjenige Beteiligte die Feststellungslast zu tragen, der sich auf diese rechtsvernichtende Tatsache beruft. Die Nichtauffindbarkeit der Originalurkunde nach dem Tod des Erblassers begründet noch keine tatsächliche Vermutung, dass das Testament vom Erblasser mit Widerrufswillen vernichtet worden ist.
Hatte der Erblasser die Urkunde bis zuletzt in Gewahrsam, so spricht der erste Anschein dafür, dass er selbst gehandelt hat. Wird ein Testament durch einen Dritten ohne Auftrag des Erblassers oder durch den Erblasser versehentlich vernichtet, so bleibt es wirksam, denn es fehlt der Widerrufswille. Für den Inhalt trägt derjenige die Beweislast, der Rechte daraus herleitet. Die Widerrufshandlung kann, da sie willensgetragen sein muss, nach den Grundsätzen der §§ 2078 ff. BGB angefochten werden.
Es gibt keine Vermutung dafür, dass ein Erblasser eine nicht auffindbare Urkunde vernichtet hat.
Rz. 277
Aber: An den Nachweis eines unfreiwillig abhanden gekommenen oder zerstörten Testaments sind strenge Anforderungen zu richten. Derjenige, der aus dem Testament Rechte geltend macht, muss die formgültige Errichtung und seinen Inhalt beweisen.
Rz. 278
Wer sich auf ein unauffindbares Testament beruft, muss die formgültige Errichtung und den Inhalt des Testaments beweisen und trägt im Erbscheinsverfahren insoweit die Feststellungslast.
Rz. 279
Ist nur ein Teil der Verfügungen des unauffindbaren Testaments feststellbar, können sie Grundlage eines erbrechtlichen Anspruchs nur dann ausnahmsweise sein, wenn der Gesamtwille des Erblassers insoweit erkennbar ist, dass ohne Rücksicht auf den Inhalt und Umfang des nicht festgestellten Teils des Testaments der feststellbare Teil Bestand haben soll und dieser Teil durch die Unbestimmtheit der nicht bekannten Verfügungen seinem Umfang nach nicht wesentlich berührt wird.
Rz. 280
OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.9.2001:
Zitat
1. Eine verschwundene letztwillige Verfügung von Todes wegen kann grundsätzlich mit allen zulässigen Beweismitteln dargelegt werden.
2. An den Nachweis sind aber strenge Anforderungen zu stellen. Eine formlose Beweisaufnahme genügt danach nicht, es ist ein förmliches Beweisverfahren (Strengbeweis) durchzuführen.
OLG Hamburg, Beschl. v. 17.8.2016:
Zitat
"Für die formgültige Errichtung und den Inhalt eines nicht mehr vorhandenen Testaments ist beweispflichtig, wer aus dem Testament Rechte herleiten will. Verbleiben trotz ausreichender Ermittlungen Zweifel, trifft im Erbscheinsverfahren die Feststellungslast hinsichtlich des gesamten Inhalts denjenigen, der sein Erbrecht aus dem nicht mehr vorhandenen Testament ableitet."
Rz. 281
Das Beweisangebot von Zeugen, die das Testament nicht gesehen haben, reicht i.d.R. nicht aus. Für den Nachweis eines urkundlich nicht mehr vorhandenen Testaments sind Äußerungen des Testators gegenüber Bedachten oder Dritten regelmäßig nicht ausreichend.
Rz. 282
Ist bewiesen, dass der Erblasser ein zwar nicht auffindbares, aber formgültiges Testament mit einem bestimmten Inhalt errichtet hat, trägt die Feststellungslast hinsichtlich einer späteren absichtlichen Vernichtung des Testaments als Widerruf gem. § 2255 BGB derjenige, der sich auf die Ungültigkeit des Testaments zur Begründung seines Erbrechts beruft.
Rz. 283
Zur Beweisführung über Errichtung und Inhalt eines Testaments kann sich der Beweisbelastete aller Beweismittel bedienen, insbesondere des Zeugenbeweises. Die Beweislast kehrt sich jedoch um, wenn bewiesen ist, dass derjenige, der die Unwirksamkeit des Testaments geltend macht, es beiseite geschafft hat. Zur Problematik, wenn lediglich ein Teil eines eigenhändigen Testaments verloren gegangen ist: BayObLG FamRZ 2005, 1866; vgl. auch § 444 ZPO.