1. Die vom BGH entwickelten Grundsätze
Rz. 514
Seit dem Urteil des BVerfG vom 6.2.2001 und dessen Beschl. v. 29.3.2001 ist die Vertragsfreiheit im Ehevertragsrecht erheblich eingeschränkt. Seitdem unterliegen auch Eheverträge der inhaltlichen Kontrolle durch die Gerichte. Diese Rechtsprechung gilt auch für Verträge, die lange vor dieser Rechtsprechung geschlossen wurden. Der vom BVerfG im Jahre 2001 beurteilte Ehevertrag stammte aus dem Jahr 1977.
Inhaltskontrolle von Eheverträgen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs:
a) Die zwei Stufen der Inhaltskontrolle
Rz. 515
Die richterliche Inhaltskontrolle wird vom BGH in zwei Stufen vorgenommen:
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Erste Stufe: Die Wirksamkeitskontrolle unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB). |
▪ |
Zweite Stufe: Die Ausübungskontrolle unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), falls nicht schon die Wirksamkeitskontrolle zur Nichtigkeit des Vertrages führt. |
b) Kernbereichslehre des BGH
Rz. 516
Maßgebend ist als Ausgangspunkt für die Kontrolle jeder der beiden Stufen die Wertigkeit des Rechts, auf das verzichtet oder das geschmälert wird. Betroffen ist insofern die objektive Seite. Die Wertigkeit des betroffenen Rechts wird vom BGH im Rahmen seiner Kernbereichslehre in ein Rangverhältnis gebracht. Zum Kernbereich gehören in folgender Rangfolge:
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Betreuungs unterhalt, § 1570 BGB |
1. rangig |
– |
Alters unterhalt, § 1571 BGB |
2. rangig |
– |
Krankheits unterhalt, § 1572 BGB |
2. rangig |
– |
Versorgungsausgleich = Vorweggenommener Altersunterhalt |
2. rangig. |
Die Beanstandung im Sinne einer Inhaltskontrolle ist umso eher anzunehmen, je mehr die Vereinbarung in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.
Nicht zum Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts gehört der Zugewinnausgleich. Er ist ehevertraglicher Disposition am weitesten zugänglich (BGH, Urt. v. 12.1.2005 – XII ZR 238/03: "Die Vereinbarung des Wahlgüterstands der Gütertrennung lässt einen Ehevertrag grundsätzlich nicht sittenwidrig erscheinen.").
c) Wirksamkeitskontrolle
Rz. 517
Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle ist zu prüfen, ob die Vereinbarung schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, dass ihr – und zwar losgelöst von der künftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse – wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise mit der Folge zu versagen ist, dass an ihre Stelle die gesetzlichen Regelungen treten (§ 138 Abs. 1 BGB). Erforderlich ist dabei eine Gesamtwürdigung, die auf die individuellen Verhältnisse beim Vertragsschluss abstellt, insbesondere also auf Inhalt, Beweggrund und Zweck sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, den geplanten oder bereits verwirklichten Zuschnitt der Ehe sowie auf die Auswirkungen auf die Ehegatten und auf die Kinder. Subjektiv sind die von den Ehegatten mit der Abrede verfolgten Zwecke sowie die sonstigen Beweggründe zu berücksichtigen, die den begünstigten Ehegatten zu seinem Verlangen nach der ehevertraglichen Gestaltung veranlasst und den benachteiligten Ehegatten bewogen haben, diesem Verlangen zu entsprechen.
Bei Sittenwidrigkeit eines Ehevertrags gilt der gesetzliche Güterstand mit entsprechenden Auswirkungen auf das gesetzliche Erbrecht.
Rz. 518
Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle (§ 138 BGB) ist eine Gesamtabwägung aller Umstände vorzunehmen. Maßgebend sind dabei folgende Gesichtspunkte:
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"Evident einseitige Lastenverteilung" |
▪ |
"Gesamtschau der getroffenen Vereinbarungen, der Gründe und Umstände ihres Zustandekommens sowie der beabsichtigten und verwirklichten Gestaltung des ehelichen Lebens." |
Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle: Abschluss des Ehevertrags.
2. Die subjektive Seite – Disparitätische Verhältnisse unter den Vertragspartnern – Ungleiche Verhandlungspositionen bei Vertragsabschluss
Rz. 519
Neben der objektiv einseitigen Lastenverteilung prüft der BGH, ob eine ungleiche Verhand...