A. Typischer Sachverhalt
Rz. 1
Ein Erblasser hat zwei Testamente hinterlassen; im ersten Testament hat er den A zum Alleinerben eingesetzt, im zweiten Testament den B. Es bestehen Zweifel, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung des zweiten Testaments noch testierfähig war. Im Erbscheinsverfahren, das durch drei Instanzen geführt wurde, gab es einander widersprechende Entscheidungen: Beim Nachlassgericht und beim OLG, also in der ersten und dritten Instanz, wurde festgestellt, A sei Alleinerbe; das Landgericht war als zweite Instanz zu dem Ergebnis gekommen, B sei Alleinerbe geworden. Nach Abschluss des Erbscheinsverfahrens erhebt B Klage auf Feststellung, dass nicht A Alleinerbe geworden sei, sondern er, B.
B. Feststellungsinteresse
Rz. 2
Der Erbe muss sein Erbrecht bei einer Vielzahl von Gelegenheiten nachweisen können – bei der Bank, beim Grundbuchamt, bei Versicherungen. In nahezu allen Fällen wird dieser Nachweis geführt mittels eines vom Nachlassgericht erteilten Erbscheins (§§ 2353 ff. BGB) oder einer beglaubigten Abschrift einer notariell beurkundeten Verfügung von Todes wegen samt nachlassgerichtlicher Eröffnungsniederschrift, entsprechend der Regelung in § 35 GBO.
Rz. 3
In streitigen Fällen kann aber auch der Weg über eine Feststellungsklage im Zivilprozess gegangen werden, § 256 Abs. 1 ZPO. Das Erbrecht nach einer bestimmten Person ist ein Rechtsverhältnis, das zu klären ist. Ein Feststellungsinteresse ist deshalb grundsätzlich zu bejahen, auch wenn ein Erbscheinsverfahren bereits betrieben wird oder sogar schon abgeschlossen ist (vgl. dazu Rdn 4 ff.).
In der Praxis geht es dabei am häufigsten um die Problembereiche der Testierfreiheit, der Testierunfähigkeit, der Anfechtung oder der Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen, der Frage ihres wirksamen Widerrufs oder ihrer Auslegung.
Ein Feststellungsinteresse für eine auf Feststellung des Erbrechts gerichtete Klage besteht nur dann, wenn der Beklagte die Erbenstellung des Klägers ernstlich bestreitet oder ein eigenes Erbrecht geltend macht. Daran fehlt es, wenn der Beklagte objektiv als gesetzlicher Erbprätendent ausscheidet und er sich auch weder eines gesetzlichen noch eines gewillkürten Erbrechts berühmt, so dass das Bestreiten der Erbenstellung des Klägers als eine bloße Reaktion auf die Klage zu werten ist.
C. Verhältnis des Erbscheinsverfahrens zur Erbenfeststellungsklage
I. Allgemeines
Rz. 4
Für eine Feststellungsklage besteht auch dann ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn ein Erbscheinsverfahren anhängig gemacht werden könnte, während eines laufenden Erbscheinsverfahrens oder wenn ein Erbschein bereits erteilt wurde. Denn das Ergebnis des Erbscheinsverfahrens hat mangels einer der Rechtskraft fähigen Entscheidung keine Bindungswirkung für einen nachfolgenden streitigen Prozess über die Feststellung des Erbrechts.
Der Rechtsstreit über die Feststellung eines Erbrechts kann auch nicht wegen eines bereits anhängigen Erbscheinsverfahrens nach § 148 ZPO ausgesetzt werden.
Umgekehrt: Ein Erbscheinsverfahren kann nach § 21 Abs. 1 FamFG ausgesetzt werden, wenn zwischen den Erbprätendenten ein Zivilrechtsstreit zur Feststellung des Erbrechts anhängig ist, denn das Ergebnis eines Feststellungsrechtsstreits ist für ein Erbscheinsverfahren unter denselben Beteiligten vorgreiflich. Die Aussetzung ist auch im Rechtsbeschwerdeverfahren zulässig, ohne dass es hierfür eines Antrags oder der Zustimmung der Beteiligten bedarf. Das mit dem Erbscheinsverfahren befasste Gericht entscheidet von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen über die Aussetzung. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob die durch die Aussetzung eintretende Verzögerung den Beteiligten zugemutet werden kann. Der Aussetzungsbeschluss ist mit der sofortigen Beschwerde entsprechend ZPO-Regeln anfechtbar, § 21 Abs. 2 FamFG.
Rz. 5
Zur Rechtswegerschöpfung im Sinne des Verfassungsbeschwerderechts: Solange ein Erbprätendent nicht sowohl das Erbscheinsverfahren als auch die Möglichkeit des Erbenfeststellungsprozesses durch alle in Betracht kommenden Instanzen verfolgt hat, kann eine Verfassungsbeschwerde gegen eine abschlägige gerichtliche Entscheidung nicht erhoben werden.
Rz. 6
Sollte einer positiven Feststellungsklage stattgegeben werden, so steht im Verhältnis der beiden Prozessparteien fest, dass der Kläger Erbe geworden ist. Wird die positive Feststellungsklage jedoch abgewiesen, so steht lediglich im Verhältnis der Parteien fest, dass der Kläger nicht Erbe geworden ist. Will der Beklagte aber seine Feststellung als Erbe erreichen, so muss er eine Feststellungswiderklage (vgl. Muster zur Feststellungswiderklage Rdn 355) erheben; die reine Klageabweisung reicht dafür nicht.
II. Unterschiede zwischen Erbenfeststellungsklage und Erbscheinsverfahren
Rz. 7
Zunächst ist ein elementarer Unterschied zwischen Zivilprozess einerseits und Erbscheinsverfahren andererseits festzustellen: Die Parte...