Rz. 52

Der Gesetzgeber des Formanpassungsgesetzes geht davon aus, dass die Funktionsäquivalenz der Schriftformfunktionen bei der elektronischen Form mit einer Einschränkung gegeben ist: Nach seiner Einschätzung bleibt die elektronische Form bei der Warnfunktion hinter der Schriftform zurück.[24]

 

Rz. 53

Die elektronische Form enthält alle Merkmale der Textform. Es werden folglich alle Funktionen der Schriftform, die der Textform zukommen, auch von der elektronischen Form erfüllt. Die elektronische Form hat also die Informationsfunktion in Bezug auf den Inhalt des Rechtsgeschäfts, die Identitätsfunktion, die Präzisierungsfunktion, die Ausschlussfunktion hinsichtlich mündlicher Erklärungen und die Beweisfunktion in Bezug auf den Inhalt der Erklärung.

 

Rz. 54

Die Abschlussfunktion kommt der elektronischen Form in gleicher Weise wie der Schriftform zu, da die qualifizierte elektronische Signatur erst nach Abschluss des Textes in einem separaten Vorgang hinzugefügt werden kann.

 

Rz. 55

Die Beweisfunktion der Schriftform für die Unverfälschtheit der Urkunde bedeutet, dass nachträgliche Veränderungen und Ergänzungen regelmäßig erkannt werden können. Die elektronische Form setzt die Signierung mit einer qualifizierten Signatur nach dem Signaturgesetz, mithin ein Signaturverfahren auf der Grundlage einer asymmetrischen Verschlüsselung voraus. Zu den wesentlichen Leistungen der auf asymmetrischer Verschlüsselung beruhenden Signaturverfahren gehört es, dass Veränderungen der Datei nach Signierung zuverlässig festgestellt werden können. Die Wahrscheinlichkeit einer unentdeckten Veränderung dürfte sogar noch deutlich geringer sein als bei einer eigenhändig unterschriebenen Urkunde. Somit kommt der elektronischen Form eine Beweisfunktion hinsichtlich der Unverfälschtheit des Dokuments zu, die der Beweisfunktion der Schriftform hinsichtlich der Unverfälschtheit der Urkunde mindestens ebenbürtig ist.

 

Rz. 56

Die Beweisfunktion der elektronischen Signatur folgt zum einen aus dem Anscheinsbeweis ihrer Echtheit nach § 371a ZPO (vgl. ehemals § 292a ZPO).[25] Diese Vorschrift unterstellt die Beweiswirkung von privaten elektronischen Dokumenten, die mit einer qualifizierten Signatur versehen sind, dem Urkundsbeweis. Der Anschein der Echtheit kann vom Inhaber des Signaturschlüssels nur erschüttert werden, wenn er schlüssig Tatsachen vorträgt und beweist, die einen abwechselnden Geschehensablauf ernsthaft als möglich erscheinen lassen (siehe im Einzelnen §§ 416, 420 ff. ZPO). §§ 371a Abs. 3, 416a ZPO stellen den Beweiswert entsprechender öffentlicher Urkunden gleich. Durch diese Verweisung sind sowohl die allgemeinen Beweiskraftregeln in §§ 415, 416a ff. ZPO als auch die speziellen Vorschriften über die Beweiskraft des gerichtlichen Protokolls, § 165 ZPO, und des Urteilstatbestands, § 314 ZPO, erfasst. All diese Regelungen gelten auch im Arbeitsprozess, §§ 46 Abs. 2, 80 Abs. 2 ArbGG.

 

Rz. 57

Die elektronische Form führt dazu, dass ein Beweismittel erzeugt wird, dessen Merkmale, namentlich die elektronische Signatur, für den Nachweis der Identität des Ausstellers eine mindestens gleichwertige Bedeutung haben wie die Merkmale einer eigenhändig unterschriebenen Urkunde. Beim Funktionsvergleich sind jedoch die Begleitumstände zu berücksichtigen. Eigenhändige Unterschrift und elektronische Signatur unterscheiden sich in Bezug auf den Echtheitsbeweis darin, dass die eigenhändig ausgeführte Unterschrift auf einem personenbezogenen Merkmal, der Handschrift des Ausstellers beruht, die im gewöhnlichen Geschäftsgang nicht von einer anderen Person erzeugt wurde. Die elektronische Signatur beruht, soweit der Signaturschlüssel durch das Prinzip von Besitz und Wissen vor Missbrauch geschützt ist, auf einem personenungebundenen Merkmal. Es ist zulässig, mehrere Signaturschlüssel zu besitzen, und es ist möglich und durchaus vorstellbar, dass der Inhaber einen Signaturschlüssel, den er für den geschäftlichen Bereich verwendet, einer vertrauenswürdigen Person übergibt, damit diese – entsprechend der Nutzung eines Faksimilestempels – in seinem Namen Erklärungen übermitteln kann. Die Weitergabe des Schlüssels ist wegen der Missbrauchsgefahr riskant. Eine solche Praxis schwächt die Beweiskraft der elektronischen Unterschrift für die Person des Ausstellers. In diesem Fall wird man einen Tatbestand der Rechtsscheinhaftung annehmen müssen. Es dürften die Regeln über die zugelassene Unterschriftsfälschung durch den Vertreter eingreifen.[26]

 

Rz. 58

Unterschiede bestehen auch in Bezug auf solche Umstände, die mit der räumlichen Gebundenheit der Urkunde zusammenhängen. Bei der Schriftform werden Urkunden entweder unter Anwesenden unterzeichnet oder per Briefpost versandt. Es entstehen Umstände, die für den Beweis der Identität des Urhebers bedeutsam sind. Das typische Einsatzgebiet der elektronischen Form ist der Vertragsschluss oder die Vornahme einseitiger Rechtsgeschäfte im Internet, hier meist per E-Mail, oder per Erklärungen, die vom Nutzer an eine Website übermitte...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge