Prof. Dr. Thomas Reich, Prof. Dr. Ulrich Voß
Rz. 98
In § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG wird als Erwerb von Todes wegen "der Erwerb durch Erbanfall (§ 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), durch Vermächtnis (§§ 2147 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs) oder aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs (§§ 2303 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs)" genannt. Da das deutsche Erbschaftsteuergesetz auf die Begriffe des deutschen Zivilrechts abstellt, könnte die Ansicht vertreten werden, dass Erbschaftsteuer nur dann erhoben werden darf, wenn überhaupt ein Erwerb nach den Vorschriften des deutschen Zivilrechts erfolgt. Tatsächlich ist das aber nicht der Fall. Sind im Inland die Anknüpfungspunkte für eine unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht gegeben, steht der deutschen Besteuerung nicht entgegen, wenn der Erbe (oder ein anderer Erwerber u.a.) unter Maßgabe des internationalen Privatrechts nach einem ausländischen Erbstatut bestimmt wird. Das Problem besteht darin, dass es im deutschen Erbschaftsteuergesetz mehr Anknüpfungspunkte gibt als im deutschen Zivilrecht nach der EuErbVO. Während das deutsche Erbschaftsteuergesetz an den gewöhnlichen Aufenthalt der Beteiligten oder den Wohnsitz oder an die Belegenheit der Nachlassgüter anknüpft, ist das deutsche Erbrecht als Erbstatut nach der allgemeinen Kollisionsnorm des Art. 21 Abs. 1 EuErbVO nur in einem der drei vorgenannten Fälle anwendbar, nämlich lediglich dann einschlägig, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Inland hatte.
Rz. 99
Nach der Rechtsprechung des (RFH und des) BFH liegt ein steuerpflichtiger Erwerb auch dann vor, wenn er sich nach ausländischem Recht vollzieht. Hierbei werden zwei Wege beschritten. Sofern sich zu ausländischen Rechtsfiguren eine Parallele zu einem deutschen Rechtsinstitut finden lässt, wird der Rechtsvorgang entsprechend dem deutschen Rechtsinstitut besteuert. Falls es in Deutschland aber nichts Vergleichbares gibt (so bestand früher für den angloamerikanischen Trust eine Besteuerungslücke, die erst durch die Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 ErbStG gefüllt wurde), erfolgt eine Bewertung anhand des wirtschaftlichen Gehalts des ausländischen Rechtsinstituts. Ergibt sich dabei eine Übereinstimmung mit dem wirtschaftlichen Gehalt eines Steuertatbestands nach deutschem Recht, wird der Vorgang entsprechend besteuert. So wurde früher die Einschaltung eines US-amerikanischen Trusts als aufschiebend bedingter Erwerb durch die bei Auflösung des durch den Trust Begünstigten angesehen.
Rz. 100
Gegen dieses methodische Vorgehen wurden in der Literatur teilweise mit der Begründung Bedenken erhoben, dass die Gleichstellung wirtschaftlich ähnlicher Sachverhalte dem Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung widerspricht. Die Diskussion hat allerdings nur dann Bedeutung, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Gesetzgeber durch Bezugnahme auf die Vorschriften des BGB den Tatbestand tatsächlich einengen wollte und eine abschließende Aufzählung mit Sperrfunktion gewünscht war. Gegen diese Annahme spricht allerdings, dass die Klammerzusätze mit der Bezugnahme auf das deutsche BGB erst im Jahr 1974 erfolgten. Bis dahin war die Vorschrift in keiner Weise durch Bezugnahme auf deutsche Zivilrechtsvorschriften eingeschränkt. Als der Gesetzgeber die Vorschriften des deutschen Zivilrechts in das ErbStG aufnahm, wollte er daher keinesfalls den Tatbestand eingrenzen – wozu auch keinerlei Veranlassung bestand –, sondern nur den Begriff "Erwerb durch Erbanfall" erläutern, den das deutsche Zivilrecht nicht verwendet. Unabhängig davon wäre es auch systemwidrig, wirtschaftlich gleichgelagerte Vorgänge nur deswegen nicht zu besteuern, weil der Erbe nach einem ausländischen Erbstatut bestimmt wird. Dies wird besonders deutlich, wenn die gleiche Person, die nach dem einschlägigen ausländischen Erbrecht Alleinerbe ist, auch nach deutschem Erbrecht Alleinerbe würde. Die Steuerpflicht kann nicht davon abhängen, ob deutsches oder ausländisches Zivilrecht, etwa aufgrund einer Rechtswahl, zur Anwendung kommt. Eine andere Auslegung würde daher wohl auch zur Verfassungswidrigkeit des ErbStG führen, da ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung vorläge; Belastungsgleichheit bestünde dann nicht mehr.