Prof. Dr. Thomas Reich, Prof. Dr. Ulrich Voß
Rz. 64
Vorfrage für die Nachfolgeplanung ist, welche Anknüpfungsmerkmale für die Besteuerung im In- und Ausland gelten. Deutschland nutzt alle denkbaren Anknüpfungsmerkmale und knüpft an die persönlichen Verhältnisse sowohl des Erblassers als auch an die des Erwerbers an. Der Weltnachlass wird daher, soweit sich keine Einschränkungen aus einem DBA ergeben, in Deutschland immer dann vollständig besteuert, wenn der Erblasser unbeschränkt erbschaftsteuerpflichtig ist. Begründen die persönlichen Verhältnisse des Erblassers keine unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht, ist zumindest der Nachlassteil unbeschränkt erbschaftsteuerpflichtig, der auf Erwerber entfällt, die aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse unbeschränkt erbschaftsteuerpflichtig sind.
Rz. 65
Die unbeschränkte Steuerpflicht, die an persönliche Merkmale anknüpft, lässt sich in Deutschland und möglicherweise auch in einzelnen ausländischen Staaten durch Wegzug vermeiden. Es ist allerdings zu beachten, dass ein Deutscher bei Wegzug in das Ausland für die Dauer von fünf Jahren weiterhin unbeschränkt erbschaftsteuerpflichtig bleibt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 Buchst. b) ErbStG). Eine unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht nach Aufgabe des Wohnsitzes im Inland ließe sich ansonsten nur durch Aufgabe der deutschen Staatsangehörigkeit vermeiden. Außerdem ist aufgrund der sog. erweiterten beschränkten Erbschaftsteuerpflicht nach § 4 AStG zu beachten, dass bei einem Wegzug unter den in § 6 AStG genannten Voraussetzungen Wertsteigerungen von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften ertragsteuerbar (§ 17 EStG) sind, an denen der Wegziehende mit mindestens 1 % beteiligt ist, obwohl der Wegzug keine Veräußerung darstellt. Die Steuer wird allerdings insoweit gestundet, als der Wegzug in ein anderes Land innerhalb der EU oder des EWR erfolgt und die in § 6 Abs. 5 AStG genannten Anzeigepflichten beachtet werden; zu Beteiligungen an ausländischen Zwischengesellschaften vgl. §§ 5, 7 ff. AStG.
Rz. 66
Auch ohne inländischen Wohnsitz oder inländischen gewöhnlichen Aufenthalt ist im Einzelfall also insbesondere zu untersuchen, ob es möglicherweise eine "nachlaufende" unbeschränkte Steuerpflicht gibt. In Deutschland werden Erblasser oder Erwerber mit deutscher Staatsangehörigkeit als Inländer behandelt, wenn sie sich nicht länger als fünf Jahre vor dem Besteuerungsstichtag dauernd im Ausland aufgehalten haben, ohne im Inland einen Wohnsitz gehabt zu haben (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 Buchst. b) ErbStG). Eine unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht besteht daher für deutsche Staatsangehörige nach Aufgabe eines deutschen Wohnsitzes für die Dauer von fünf Jahren fort, soweit sich aus einem Doppelbesteuerungsabkommen keine Sonderregelungen ergeben, die das deutsche Besteuerungsrecht einschränken.
Beispiel:
Der deutsche Staatsangehörige E erfährt, dass er schwer krank ist und nur noch wenige Monate zu leben hat. Selbst wenn er sofort aus Deutschland wegzieht, bleibt es grundsätzlich noch für die Dauer von fünf Jahren bei der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht.
Rz. 67
Eine Ausnahme bestand früher bei Wegzug nach Österreich. Aufgrund des früher mit Österreich bestehenden DBA stand nämlich Österreich auch bei einer Wohnsitzverlegung nach Österreich das Besteuerungsrecht vorrangig zu. Bei der Anwendbarkeit anderer DBA ist jeweils zu prüfen, ob und welche Regelungen diese gerade für die Fälle der erweiterten unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht vorsehen. In Art. 4 Abs. 4 ErbSt-DBA Deutschland/Schweiz ist beispielsweise ausdrücklich vorgesehen, dass die Regelungen der erweiterten beschränkten Steuerpflicht durch das DBA unberührt bleiben (sog. überdachende Besteuerung). Art. 4.3 ErbSt-DBA Deutschland/USA bestimmt eine Zehn-Jahresfrist bei einem Wegzug von US-Staatsangehörigen nach Deutschland.