Rz. 76
Die Pflichten des Verkäufers sind in Kapitel II (Art. 30 bis 52 CISG) des UN-Kaufrechts geregelt. Den Schwerpunkt der Regelungen bilden die Lieferpflicht des Verkäufers sowie die Rechtsbehelfe des Käufers für den Fall der Vertragsverletzung des Verkäufers. Neben diesen speziellen Vorschriften sind die besonderen in Kapitel IV geregelten Vorschriften für den Gefahrübergang (Art. 66 bis 70 CISG), die Bestimmungen der Art. 71 bis 88 CISG sowie die allgemeinen Regelungen der Art. 25 ff. CISG zu berücksichtigen.
I. Lieferpflicht des Verkäufers
Rz. 77
Die Verpflichtung des Verkäufers, die verkaufte Ware vertragsgemäß zu liefern, steht für den Käufer im Vordergrund. Sofern die Parteien keine abweichenden Abreden getroffen haben und keine nach Art. 9 CISG maßgeblichen Gebräuche oder Gepflogenheiten einzubeziehen sind, bestimmen sich die Modalitäten der Lieferung nach den Art. 31 ff. CISG.
Rz. 78
Unter der "Lieferung" ist die Zur Verfügung stellung der Ware i.S.d. Art. 31 CISG zu verstehen. Die Zeit der Lieferhandlung ergibt sich aus Art. 33 CISG. Dem UN-Kaufrecht ist eine strenge Trennung zwischen der Lieferpflicht als solcher und der – in Art. 30 CISG nicht gesondert erwähnten – Pflicht zur Lieferung einer vertragsgemäßen (mangelfreien) Ware unbekannt. Ob es sich um eine vertragsgemäße Ware handelt, bestimmt sich nach Art. 35 CISG. Auch die Lieferung einer anderen als der geschuldeten Sache (aliud-Lieferung) ist keine Nichtlieferung i.S.d. Art. 30 CISG, sondern eine Vertragswidrigkeit i.S.d. Art. 35 CISG. Dieses Regelungsmodell wurde i.R.d. Schuldrechtsreform auch für das deutsche BGB übernommen.
Rz. 79
Neben der Verpflichtung des Verkäufers zur Lieferung der Ware besteht nach Art. 30 CISG eine Pflicht zur Übergabe der die Ware betreffenden Dokumente. Welche Dokumente im konkreten Fall zu übergeben sind, richtet sich nach der vertraglichen Vereinbarung und ist i.Ü. aus den Umständen des jeweiligen Geschäfts unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten der Parteien nach dem Gebot von Treu und Glauben zu entscheiden. Weitere Einzelheiten können sich aus international gebräuchlichen Lieferklauseln wie bspw. den INCOTERMS ergeben. Wenn derartige Bestimmungen durch den Verkäufer nicht eingehalten werden, so handelt es sich um einen Fall der Vertragsverletzung, der die allgemeinen Rechtsbehelfe des Verkäufers gem. Art. 45 ff. CISG (vgl. dazu unten Rdn 102 ff.) auslöst.
Rz. 80
Zur Pflicht des Verkäufers kann auch gehören, den Käufer darauf hinzuweisen, dass die Waren für den vom Käufer angestrebten Zweck nicht geeignet sind. Ihm obliegt es aus Treu und Glauben, dies mitzuteilen.
Rz. 81
Neben die Lieferpflicht tritt gem. Art. 30 CISG die Verpflichtung des Verkäufers, dem Käufer das Eigentum an der Ware zu übertragen. Gem. dieser Vorschrift ist der Verkäufer verpflichtet, alle nach dem jeweils maßgeblichen Recht erforderlichen Handlungen vorzunehmen, damit das Eigentum an der verkauften Ware auf den Käufer übergeht. Die Voraussetzungen der Eigentumsübertragung bestimmen sich nach dem vom internationalen Privatrecht berufenen unvereinheitlichten nationalen Recht (Art. 4 Satz 2 CISG). Gem. Art. 43 EGBGB ist dabei im Grundsatz an das Recht des Ortes, an dem sich die Ware gerade befindet (lex rei sitae), anzuknüpfen.
Hinweis
Diese Regel gilt nicht nur innerhalb des deutschen internationalen Privatrechts, sondern praktisch weltweit. Von ihr kann weder aufgrund eines individuellen Vertrages noch mittels AGB abgewichen werden. Für den deutschen Exporteur stellt sich insoweit das Problem, dass auch der mit dem Vertragspartner vereinbarte Eigentumsvorbehalt nur dann im Zielland fortbesteht, wenn er dort in gleicher oder aber zumindest in ähnlicher Form anerkannt wird.
1. Lieferort
Rz. 82
Der Lieferort ist für die vertraglichen Verpflichtungen insofern von Bedeutung, als er bestimmt, in welchem Zeitpunkt die Verantwortung für die Ware von dem Verkäufer auf den Käufer übergeht (Gefahrübergang, vgl. dazu unten Rdn 97 ff.). Dies hat vorbehaltlich anderer Abreden oder Gebräuche Auswirkungen auf die Frage, wer (Verkäufer oder Käufer) welche Transportkosten oder Risiken zu tragen hat. Anhand der Vereinbarung eines bestimmten Lieferortes lässt sich ermitteln, welche Partei ggf. zu entrichtende Zölle oder Abgaben zu übernehmen sowie sich um erforderliche Export- bzw. Importgenehmigungen und Durchfuhrfreimachungen zu kümmern hat.
Rz. 83
In der Praxis ergibt sich der Lieferort in den meisten Fällen aus Absprachen zwischen Verkäufer und Käufer bzw. aus den einbezogenen AGB. Inhaltlich können die Parteien Vereinbarungen jeglicher Art treffen, ihnen sind dabei keinerlei Beschränkungen auferlegt. Typische Klauseln für die Bestimmung des Lieferortes sind die bereits angesprochenen INCOTERMS. Diese Bestimmungen in der seit dem 1.1.2020 geänderten Version unterscheiden ebenso wie die vorangegangene Fassung aus dem Jah...