Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 148
Fallbeispiel 77: Nießbrauch und Rückübertragungsklausel
Die Finanz- und Familiensituation der Tochter T stellt sich wie im Fallbeispiel 76 dar (siehe Rdn 136). Diesmal ist es so, dass die Eltern eine Immobilie mit zwei Wohneinheiten im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen möchten und sich einen Nießbrauch an der gesamten Immobilie eintragen lassen und eine Rückübertragungsklausel in den notariellen Kaufvertrag aufgenommen haben, wonach die Tochter T zur Rückübertragung der Immobilie verpflichtet ist, sobald sie die Immobilie belastet oder in sonstiger Weise über sie verfügt. Der Rückübertragungsanspruch wird durch Vormerkung im Grundbuch gesichert.
Rz. 149
Die Belastung einer zugewendeten Immobilie mit einem Nießbrauchsrecht zugunsten eines Dritten begründet keine rechtliche Unverwertbarkeit i.S.d. § 27 Abs. 1 S. 2 BAföG, da die Immobilie auch mit Nießbrauch veräußert werden kann.
Rz. 150
Der Nießbrauch fällt aber gem. § 28 Abs. 3 S. 1 BAföG unter den Begriff der Schulden und Lasten und ist vom Vermögen abzuziehen. Sollte sich jedoch innerhalb des Bewilligungszeitraums keine Verwertungsmöglichkeit finden und die Verwertbarkeit deshalb tatsächlich unmöglich sein, so soll die Auszubildende nicht auf Mittel verwiesen werden, die ihr faktisch nicht zur Verfügung stehen. Dies wäre unbillig und ist deshalb bei § 29 Abs. 3 BAföG abzuhandeln.
Rz. 151
Die Rückübertragungsklausel begründet ebenfalls kein rechtliches Verwertungshindernis i.S.v. § 27 Abs. 1 S. 2 BAföG; aber die Anrechnung einer Immobilie, deren Wert durch diese Klausel nicht erzielt werden kann, ist als unbillige Härte nach § 29 Abs. 3 BAföG zu prüfen. Eine Härte liegt nach Tz 29.3.2 Buchst. e) der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum BAföG insbesondere vor,
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wenn die Verfügung über das einzusetzende Grundvermögen vertraglich ausgeschlossen wurde und dieses Verfügungsverbot durch eine Auflassungsvormerkung mit Rückübertragungsklausel dinglich gesichert ist. |
Der Hintergrund dieser Fallgruppe liegt in der Ausgestaltung von Zuwendungsverträgen mit Unentgeltlichkeitscharakter. Neben den gesetzlichen Rückforderungsrechten der §§ 528 und 530 BGB geht man wegen der Unentgeltlichkeit der Zuwendung davon aus, dass bei bestimmten Störungen in den persönlichen Verhältnissen der Vertragsteile die Interessen des Zuwendenden zur Rückgängigmachung der Zuwendung führen können, und zwar durch vertraglich ausdrücklich geregelte Rückforderungsrechte für bestimmte vertraglich definierte Störfälle.
Rz. 152
Bei der unentgeltlichen Übertragung von Grundstücken – ggf. im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge – wird deshalb in der notariellen Praxis häufig ein schuldrechtliches Belastungs-/Verfügungsverbot des Begünstigten – gekoppelt mit einem Rückforderungsrecht (sog. Rückübertragungsklausel) des Zuwendenden – eingesetzt. Weil sich die Rückforderung jedenfalls mit dinglicher Wirkung wegen § 925 Abs. 2 BGB bei übertragenem Grundbesitz nicht so ausgestalten lässt, dass mit der Rückforderung das Grundstück automatisch in das Eigentum des Zuwendenden zurückfällt, wird ein schuldrechtliches Rückforderungsrecht vereinbart und der bedingte Anspruch des Zuwendenden wird mit einer Vormerkung abgesichert. Die Vereinbarung einer solchen Bedingung führt zur Anwendung des Anspruchs aus ungerechtfertigter Bereicherung auf Rückgewähr.
Rz. 153
Diese Gestaltungsvariante zielt darauf ab, dem Hilfebedürftigen bzw. Auszubildenden etwas zu schenken, aber die Zuwendungssubstanz gegen Verschwendung und Zugriff von außen sicher zu machen. Mit einer solchen Klausel erzielt man ein Ergebnis, das sich der verbotenen dinglichen Verfügungsbeschränkung des § 137 S. 1 BGB annähert. Typischerweise lauten solche Klauseln:
Zitat
"Der Veräußerer behält sich das Recht vor, die unentgeltliche Rückübertragung des heute übertragenen Grundbesitzes zu verlangen, wenn eine der nachbenannten Voraussetzungen vorliegt:"
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wenn der Grundbesitz zu Lebzeiten des Veräußerers ohne dessen schriftliche Zustimmung ganz oder teilweise veräußert oder belastet wird; |
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wenn der Grundbesitz vermietet wird oder eingetragene Belastungen revalutiert werden.“ |
Rz. 154
Ergebnis Fallbeispiel 77:
Es spricht alles dafür, dass die vereinbarte Rückübertragungsklausel unter Tz 29.3.2 Buchst. e) der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum BAföG unterfällt. Da die Vereinbarung einer solchen Klausel aber nicht per se als rechtliche Unverwertbarkeit des Vermögens i.S.v. § 27 BAföG angesehen wird, ist eine solche Klausel kein Garant dafür, dass die Immobilie nicht als verwertbar angesehen wird. Sie ermöglicht nur die Prüfung der Unbilligkeit im Einzelfall. Diese Prüfung steht zusätzlich im Ermessen des Leistungsträgers.