Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 157
Auszubildende müssen nach dem Grundsatz von Treu und Glauben dazu beitragen, dass rechtswidrige Zahlungen an sie vermieden werden. Gleichwohl kommt es vor. Sei es, weil außerhalb des Anrechnungszeitraums Mittel zugeflossen sind oder weil von Anfang an Mittel vorhanden waren, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in die Prüfung einbezogen wurden. Das ist ein Leistungsstörungsfall im sozialrechtlichen Leistungsverhältnis, ein Fall des Regresses.
Rz. 158
Das BAföG-Recht kennt – anders als das SGB XII – keine Erbenhaftung und auch keine Kostenersatzansprüche wegen eines vorsätzlichen Sichbedürftigmachens. Das BAföG-Recht arbeitet diese Fallkategorie unter dem Gesichtspunkt des Vermögensbegriffs ab und rechnet ein rechtsmissbräuchlich ausgeschiedenes Vermögen einfach fiktiv wegen eines angenommenen Obliegenheitsverstoßes wieder dem Vermögen zu. Kostenerstattungsansprüche wie z.B. in § 103 SGB XII sind deshalb entbehrlich. Es gibt keine Überleitung und keinen Übergang von Ansprüchen, die keine Unterhaltsansprüche sind, wie sie § 93 SGB XII kennt. Der Leistungsträger tritt also nicht in Rechtspositionen ein, die lediglich gegenwärtig und faktisch nicht "versilberbar" waren.
Rz. 159
Einschlägig sind die §§ 20 Abs. 1 Nr. 3 und 4 und 53 BAföG i.V.m. § 50 SGB X. Daneben sind die allgemeinen Regeln über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten zu beachten. Das Verhältnis der Normen ergibt sich aus mehreren Rechtsänderungen.
§ 20 Abs. 1 S. 1 BAföG regelt heute im Einkommensrecht:
Haben die Voraussetzungen für die Leistung von Ausbildungsförderung an keinem Tage des Kalendermonats vorgelegen, für den sie gezahlt worden ist, so ist – außer in den Fällen der §§ 44 bis 50 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – insoweit der Bewilligungsbescheid aufzuheben und der Förderungsbetrag zu erstatten, als
1. …
2. …
3. der Auszubildende Einkommen im Sinne des § 21 erzielt hat, das bei der Bewilligung der Ausbildungsförderung nicht berücksichtigt worden ist; …
4. …
Rz. 160
§ 44 SGB X regelt den Zugunstenantrag, § 45 SGB X den von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsakt und § 48 SGB X die Aufhebung des Verwaltungsakts wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse.
Rz. 161
Der in § 20 Abs. 1 Nr. 3 BAföG geregelte Rückforderungstatbestand stellt eine eigenständige und in sich abgeschlossene Anspruchsgrundlage dar. Es kommt dabei nicht darauf an, auf wessen Verantwortungssphäre dieser Umstand zurückzuführen ist:
Zitat
"Voraussetzung ist allein, dass der Auszubildende nach Stellung des Förderungsantrags Einkommen erzielt und die Behörde dieses Einkommen bei Bewilligung der Ausbildungsförderung nicht berücksichtigt hat. Subjektive Elemente spielen für das Entstehen des Rückforderungsanspruchs weder auf Seiten des Auszubildenden noch auf Seiten der Behörde eine Rolle. Ohne rechtliche Bedeutung ist demnach, ob der Auszubildende oder die Behörde gewusst hat oder hätte wissen müssen, der Auszubildende werde nach dem maßgebenden Zeitpunkt Einkommen erzielen. Ferner kommt es nicht darauf an, ob dem Auszubildenden vorwerfbar ist, er habe die Behörde auf die Einkommenserzielung nicht hingewiesen, oder ob es in den Verantwortungsbereich der Behörde fällt, dass sie das Einkommen bei der Bewilligung unberücksichtigt gelassen hat. Dem Rückforderungsanspruch steht ferner nicht entgegen, dass der Auszubildende darauf vertraut hat, er habe die Förderung zu Recht erhalten, oder dass er den gezahlten Betrag für seinen Lebensunterhalt bereits verwendet hat. Die Bestimmung des § 20 BAföG stellt insgesamt eine für die Ausbildungsförderung geltende Sonderregelung zur Rückforderung von zu Unrecht gewährten Leistungen dar, die das Vertrauen des Auszubildenden auf die Beibehaltung einer rechtswidrigen Förderung nicht schützt und Grundsätze aus dem Bereicherungsrecht unberücksichtigt lässt."
Rz. 162
Diese an objektiven Merkmalen orientierte Auslegung entspricht dem Sinn der Vorschrift. Damit soll dem Nachrang der Ausbildungsförderung Rechnung getragen werden. Nachdem über die Förderung in der Regel zu Beginn des Bewilligungszeitraums mit Wirkung für die Zukunft entschieden wird, ergibt sich aus der Natur der Sache, dass erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraums feststellbar ist, ob und in welcher Höhe tatsächlich Einkommen erzielt wurde. Daher ist für den Auszubildenden unschwer erkennbar, dass die Bewilligung sozusagen unter dem stillschweigenden Vorbehalt der Änderung steht, was die generelle Versagung des Vertrauensschutzes für diese Fälle rechtfertigt. Auch das Sozialstaatsprinzip gebietet nicht, eine im Laufe des Bewilligungszeitraums veränderte Einkommenssituation erst ab dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, ab dem die Einkünfte tatsächlich erzielt worden sind.
Rz. 163
Bis zum Inkrafttreten des SGB X zum 1.1.1981 war § 20 BAföG eine abschließende Regelung über die Aufhebung rechtswidriger Bewilligungsbescheide und die Erstattung zu Unrecht gewährter BAföG-Leistungen. Das änderte sich mit dem Inkrafttreten des SGB X. Die Aufhebungs- und Erstattung...