Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 127
§ 29 Abs. 3 BAföG eröffnet zur Vermeidung von unbilligen Härten die Möglichkeit, "weitere Teile" des Vermögens der auszubildenden Person anrechnungsfrei zu stellen. Damit sollen diejenigen Härten abgefedert werden, die sich aus den der Vermögensanrechnung immanenten Typisierungen und Pauschalierungen ergeben können. Zu den Typisierungen des Gesetzgebers gehört, dass der Gesetzgeber für den Regelfall davon ausgeht, dass das anrechenbare Vermögen auch wirklich einsetzbar ist. Die Verweisung auf ein Vermögen, das einem Vermögenszugriff im maßgeblichen Bewilligungszeitraum nicht zugänglich ist, begründet eine unbillige Härte und soll über § 29 Abs. 3 BAföG korrigiert werden.
Rz. 128
§ 29 Abs. 3 BAföG ist der Ort der "Endabnahme" für die Prüfung, ob Vermögen nach Art und Höhe tatsächlich auf den Bedarf angerechnet werden kann:
Zitat
"§ 29 BAföG konkretisiert den in § 1 Halbs. 2 BAföG verankerten Grundsatz der Nachrangigkeit staatlicher Ausbildungsförderung. Ihm ist die Wertung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass es einem unverheirateten kinderlosen Auszubildenden in der Regel zuzumuten ist, vorhandenes Vermögen für seine Ausbildung im Grundsatz – bis auf den in § 29 Abs. 1 BAföG vorgesehenen Freibetrag – voll einzusetzen."
Rz. 129
Der Gesetzgeber gesteht Auszubildenden, die eigenes Vermögen besitzen, über die gesetzlichen Freibeträge hinaus daher regelhaft keine Förderleistungen zu. Der Auszubildende kann nicht unter Schonung seines eigenen Vermögens staatliche Hilfe verlangen. Ob eine unbillige Härte i.S.d. § 29 Abs. 3 BAföG vorliegt, bestimmt sich daher grundsätzlich nach dem Grad der Gefährdung der Ausbildung. Ungesicherte berufliche Aussichten in der Zukunft begründen keine Unbilligkeit. Es reicht nicht aus, anzunehmen, deshalb sei es nicht zumutbar, sich in naher Zukunft mit erheblichen Rückzahlungsverpflichtungen zu belasten. Auch besondere Beweggründe für die Bildung sowie die Herkunft des vorhandenen Vermögens sind bei der Anrechnung des Vermögens grundsätzlich unbeachtlich. Eine Interessenlage, die in einer erhofften Wertsteigerung oder einer familienhaften Rücksichtnahme begründet ist, führt nicht zur Unverwertbarkeit. Dass die auszubildende Person den Vermögenswert geerbt oder aus einer Waisenrente angespart hat, wird nicht als unbillige Härte akzeptiert.
Rz. 130
§ 29 Abs. 3 BAföG ist eine Ausnahmevorschrift und deshalb eng auszulegen:
Zitat
"Der Annahme einer unbilligen Härte hat eine die widerstreitenden Interessen wägende Einzelfallentscheidung vorauszugehen."
Rz. 131
Ob dann, wenn das Tatbestandsmerkmal "unbillige Härte" bejaht wird, tatsächlich ein Verwertungsausschluss die Rechtsfolge ist, steht im Ermessen der Ausbildungsförderungsbehörde. Zwingend ist ein Ausschluss nicht.
Rz. 132
Die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 29 Abs. 3 BAföG sind ein "Muss" für die Prüfung, unter welchen Voraussetzungen trotz der vorhergehenden Prüfung von § 27 BAföG (Vermögensbegriff) und § 28 BAföG (Abzugsposten) die auszubildende Person einer Anrechnung des Vermögens möglicherweise doch noch entgehen kann. Dabei beginnt jede Prüfung mit dem von der auszubildenden Person substanziiert darzulegenden Nachweis, dass eine (anderweitige) realistische Verwertungschance, z.B. durch Darlehensaufnahme ggf. mit innerfamiliärer Hilfe z.B. durch Bürgschaft nicht möglich war. Das setzt zumindest den Versuch einer solchen Verwertung voraus. Der Verweis auf allgemeine Aussagen zur Lebenserfahrung reicht nicht aus. Das Maß dessen, was einer auszubildenden Person bei der Verwertung ihres Vermögens zuzumuten ist, ist "nicht zu gering zu veranschlagen".
Rz. 133
Die aufgeführten Einzelfälle fassen die in der Rechtsprechung in der Vergangenheit entschiedenen Fälle übersichtlich zusammen. Allerdings ist zu beachten, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der Unbilligkeit der unbeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Die Gerichte sind deshalb selbst dann nicht an sie gebunden, wenn dies einer in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften angelegten Verwaltungspraxis entspricht.
1. Verwertung = Verstoß gegen die wirtschaftliche Vernunft
Rz. 134
Das BAföG untersteht dem Nachrangrundsatz. Die auszubilden...