Verfahrensgang
OVG der Freien Hansestadt Bremen (Urteil vom 24.08.2011; Aktenzeichen 2 A 140/07) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 24. August 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Rz. 3
a) Im Hinblick auf die von der Beschwerde für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig gehaltenen Fragen,
“ob – in Abweichung von Leistung(en) aus einer gesetzlichen Unfallversicherung (–) Leistungen aus privater Unfallversicherung neben der sicherlich immanenten Existenzsicherung auch dem Zweck eines dem Schmerzensgeldgedanken entlehnten immateriellen Schadensausgleiches mit all seinen Komponenten zu dienen bestimmt sind” und
“ob die Leistungen aus gesetzlicher und privater Unfallversicherung tatsächlich nach Sinn und Zweck sowie Leistungsreichweite identisch sind”,
ist bereits nicht ersichtlich, dass diese in ihrer Allgemeinheit sich in einem Revisionsverfahren stellen würden und dort einer Beantwortung zugänglich wären.
Rz. 4
Die Unfallversicherungsleistung ist Gegenstand eines privatrechtlichen Vertrages, den der Versicherte mit einem von ihm frei zu wählenden Versicherer nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts und des Versicherungsvertragsrechts schließt. Erst dieser Vertrag vermittelt dem Versicherten einen Anspruch auf finanziellen Ausgleich für bestimmte Unfallfolgen im Rahmen vereinbarter Leistungsarten. Deren Voraussetzungen werden ebenso wie der jeweilige Leistungsumfang in den individualvertraglichen Bestimmungen und den Allgemeinen und Besonderen Unfallversicherungsbedingungen konkretisiert. Deshalb ist das Oberverwaltungsgericht auch der Frage nachgegangen, ob in dem Vertrag zwischen dem Kläger und der Versicherung der Versicherungsleistung eine andere Zweckbestimmung als diejenige der Existenzsicherung beigemessen wird (UA S. 11 zweiter Absatz).
Rz. 5
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der verschiedenen Leistungsarten lässt sich der Zweck von “Leistungen aus privater Unfallversicherung” nicht pauschal bestimmen. Nichts anderes gilt für die Vergleichbarkeit von “Leistungen aus gesetzlicher und privater Unfallversicherung”.
Rz. 6
b) Soweit der Kläger unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 29 Abs. 3 BAföG aufwirft, und in diesem Zusammenhang geklärt wissen möchte,
“ob der Gesetzgeber nicht statt eines unbestimmten Rechtsbegriffes (‘unbillige Härte’) enumerativ solche Fallgruppen hätte benennen müssen, die bereits dem Grunde nach anrechnungsfreies Vermögen darstellen” und
“ob bei Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes im Rahmen öffentlicher Leistungsgewährung ohne einen sachlichen Differenzierungsgrund wesentlich gleiche Lebenssachverhalte ungleich behandelt werden”,
bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, da sich diese Fragen – soweit sie einer rechtsgrundsätzlichen Klärung zugänglich sind – auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lassen (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 11. Oktober 2000 – BVerwG 6 B 47.00 – Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 10 S. 6 f. m.w.N. und vom 28. März 2003 – BVerwG 6 B 22.03 – Buchholz 442.066 § 53 TKG Nr. 2 S. 10).
Rz. 7
Gemäß § 29 Abs. 3 BAföG kann zur Vermeidung unbilliger Härten ein weiterer Teil des Vermögens anrechnungsfrei bleiben. Die Norm verfolgt den Zweck, Härten abzufedern, die sich aus den der Vermögensanrechnung zugrunde liegenden Pauschalierungen und Typisierungen ergeben können, und den Auszubildenden nicht der unzumutbaren Situation auszusetzen, auf Vermögen verwiesen zu werden, das für die Deckung des Ausbildungsbedarfs gar nicht verfügbar ist (Urteil vom 13. Juni 1991 – BVerwG 5 C 33.87 – BVerwGE 88, 303 ≪307≫ = Buchholz 436.36 § 29 BAföG Nr. 4 S. 4). Eine unbillige Härte ist gegeben, wenn die Verwertung des Vermögens zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Lebensgrundlage des Auszubildenden führen würde. In diesem Fall kann es angezeigt sein, das Vermögen über die Regelfreibeträge des § 29 Abs. 1 BAföG hinaus zu schonen (Urteil vom 12. Juni 1986 – BVerwG 5 C 65.84 – BVerwGE 74, 267 ≪270≫ = Buchholz 436.36 § 29 BAföG Nr. 2 S. 4). Der unbestimmte Rechtsbegriff der “unbilligen Härte” ermöglicht es mithin, Fallgestaltungen, in denen der Auszubildende zur Deckung seines Bedarfs auf Vermögen verwiesen wird, das entgegen der der Vermögensanrechnung zugrunde liegenden Pauschalierungen und Typisierungen für den Ausbildungsbedarf (wirtschaftlich) nicht einsetzbar ist, oder in denen die Verwertung des Vermögens zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Lebensgrundlage des Auszubildenden führen würde, angemessen Rechnung zu tragen. Er ist eng verknüpft mit der Ausübung des behördlichen Ermessens. Seiner Zweckrichtung entsprechend prägt er den Zweck der Ermessensermächtigung (vgl. Urteil vom 17. Juli 1998 – BVerwG 5 C 14.97 – BVerwGE 107, 164 ≪167≫ = Buchholz 436.36 § 25 BAföG Nr. 13 S. 3 zu § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG; OVG Münster, Urteil vom 9. September 2010 – 12 A 1937/07 – juris Rn. 33 ff.).
Rz. 8
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass der Gesetzgeber in der Wahl der rechtstechnischen Mittel frei ist, die er zur Erreichung der mit § 29 Abs. 3 BAföG verbundenen Ziele einsetzt (Urteil vom 13. Juni 1991 a.a.O. ≪308≫). Dass jener atypische Umstände durch den unbestimmten Rechtsbegriff der “unbilligen Härte” zu erfassen sucht, begegnet auch im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG keinen Bedenken. Der Anwendungsbereich der Norm ist durch deren systematische Stellung und ihren Sinn und Zweck eng begrenzt. § 29 BAföG ist Teil der Vorschriften über die Anrechnung von Vermögen (§ 11 Abs. 2, §§ 26 bis 30 BAföG). Als solcher konkretisiert er den in § 1 Halbs. 2 BAföG verankerten Grundsatz der Nachrangigkeit staatlicher Ausbildungsförderung (Urteile vom 13. Januar 1983 – BVerwG 5 C 103.80 – Buchholz 436.36 § 26 BAföG Nr. 1 S. 4 und vom 21. September 1989 – BVerwG 5 C 10.87 – BVerwGE 82, 323 ≪325 f.≫ = Buchholz 436.36 § 21 BAföG Nr. 13 S. 7). Ihm ist die Wertung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass es einem unverheirateten kinderlosen Auszubildenden in der Regel zuzumuten ist, vorhandenes Vermögen für seine Ausbildung im Grundsatz – bis auf den in § 29 Abs. 1 BAföG vorgesehenen Freibetrag – voll einzusetzen. Der Nachranggrundsatz widerstreitet einem weiten Verständnis des § 29 Abs. 3 BAföG. Der Annahme einer unbilligen Härte hat eine die widerstreitenden Interessen wägende Einzelfallentscheidung vorauszugehen (Urteil vom 13. Juni 1991 a.a.O. ≪309≫). Dabei unterliegt der unbestimmte Rechtsbegriff der unbeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Die Gerichte sind mithin selbst dann nicht an eine behördliche Auslegung gebunden, wenn diese einer in Verwaltungsvorschriften angelegten Praxis entspricht. Sie sind von Verfassungs wegen verpflichtet, bei der Auslegung auch Bedeutung und Tragweite der Grundrechte Rechnung zu tragen. Nach alledem war der Gesetzgeber nicht gehalten, das Merkmal der “unbilligen Härte” durch einen Katalog von Fallgruppen zu konkretisieren.
Rz. 9
2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Rz. 10
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
Unterschriften
Vormeier, Dr. Störmer, Dr. Fleuß
Fundstellen