Rz. 18
In der Insolvenzordnung sind diverse Vollstreckungsverbote geregelt. Während §§ 321 und 88 InsO jeweils Vollstreckungen "vor" Eröffnung beseitigt, greifen die Vollstreckungsverbote ab Insolvenzantragstellung.
Übersicht der Vollstreckungsverbote:
Rz. 19
Auch die Vollstreckungsverbote bezwecken die Sicherung der Masse zugunsten der Gesamtgläubigerschaft und gegen einzelne Gläubigerbevorteilung. Die Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger steht im Vordergrund. Keinem Insolvenzgläubiger sollen Vorteile verschafft werden. Dieser Grundsatz verbietet es, dass sich einzelne Gläubiger im laufenden Insolvenzverfahren ein besseres Recht auf Befriedigung verschaffen.
1. Vollstreckungsverbot nach § 89 Abs. 1 InsO
Rz. 20
Nach § 89 Abs. 1 InsO dürfen die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen, indem sie bei Interesse zur Insolvenztabelle anmelden, § 174 InsO. Eine Individualvollstreckung für einzelne Insolvenzgläubiger ist hingegen während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig.
Rz. 21
Rein sprachlich umfasst das Vollstreckungsverbot nur Insolvenzgläubiger. Selbstverständlich sind dabei aber auch die sog. nachrangigen Insolvenzgläubiger umfasst. Nicht umfasst sind Absonderungsgläubiger oder Neugläubiger. Letztere können aber über § 91 InsO begrenzt sein. Betroffen sind allerdings nur Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Rechtsgeschäftliche Verfügungen fallen nicht unter § 89 Abs. 1 InsO. Dabei ist aber der Vollstreckungstitel unerheblich. Erfasst sind auch der Vollzug von Arresten und einstweiligen Verfügungen sowie die Abnahme der Vermögensauskunft. Auch dazu zählen Maßnahmen nach dem Verwaltungsvollstreckungsrecht, z.B. bei der Zwangsvollstreckung durch das Finanzamt. Auf die Art des Titels kommt es also nicht an. Das Vollstreckungsverbot nach § 89 Abs. 1 InsO greift darüber hinaus nur während der Dauer des laufenden Insolvenzverfahrens und umfasst die Masse sowie sonstiges Vermögen, also letztlich auch den unpfändbaren Betrag oder aus der Masse freigegebenes Vermögen.
2. Erweitertes Vollstreckungsverbot nach § 89 Abs. 2 InsO
Rz. 22
Dieses Vollstreckungsverbot erweitert das herkömmliche Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO, in dem es auch das "zukünftige" Einkommen mit aufgreift. Unzulässig ist demnach für alle Gläubiger die Vollstreckung in die Einkommensbeträge des Schuldners, die nach Beendigung des Verfahrens entstehen. Es umfasst mithin alle Gläubigergruppen. Dies dient der Sicherung der "zukünftigen" Masse, welche ggf. für ein anstehendes Restschuldbefreiungsverfahren benötigt wird. Dabei ist es unabhängig, ob eine Restschuldbefreiung vom Schuldner überhaupt beantragt worden ist. Mangels "zukünftigem Einkommen" wird es im Nachlassinsolvenzverfahren zu keiner potentiell denkbaren Anwendung kommen.
3. Vollstreckungsverbot nach § 90 Abs. 1 InsO
Rz. 23
Ein Vollstreckungsverbot für Massegläubiger regelt § 90 Abs. 1 InsO für die Dauer von sechs Monaten ab Insolvenzeröffnung. Damit soll die Masse vor kurzfristiger Auszehrung gesichert und damit eine mögliche Sanierung denkbar bleiben. Hiervon sind jedoch nur Masseverbindlichkeiten betroffen, die nicht durch Rechtshandlung des Verwalters begründet wurden. Der Schutz besteht also nur vor "schuldlosen" aufoktroyierten“ Verbindlichkeiten. Geht der Verwalter hingegen Masseverbindlichkeiten selbst ein, überwiegt der Gläubigerschutz der Massegläubiger auf bevorzugte Befriedigung.
Beispiel 1
Insolvenzeröffnung am 1.3.2021. Der Insolvenzverwalter der Firma XY GmbH findet bei erstmaliger Sichtung der Unterlagen diverse einzuhaltende Verbindlichkeiten vor, die er nicht zu vertreten hat.
Folge: Sie stellen einzuhaltende Masseverbindlichkeiten dar, die ihm "auferlegt wurden". Folglich besteht insoweit das zeitlich begrenzte Vollstreckungsverbot von sechs Monaten.
Beispiel 2
Insolvenzeröffnung am 1.3.2021. Der Insolvenzverwalter der Firma XY GmbH will den Betrieb fortsetzen und geht insoweit neue Betriebsverbindlichkeiten ein.
Folge: Vom zeitlichen Vollstreckungsverbot umfasst sind nur Masseverbindlichkeiten, die nicht durch Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet wurden. Gewillkürte Verbindlichkeiten sind davon ausgenommen, so dass hier kein Verbot für die Gläubiger besteht, soweit die Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen. Vom Vollstreckungsverbot erfasst sind also nur die Masseverbindlichkeiten, die ohne Zutun des Insolvenzverwalters entstanden sind.
4. Vollstreckungsverbot nach § 210 InsO
Rz. 24
Das Vollstreckungsverbot betrifft die Konstellation bei Eintritt der sog. Masseunzulänglichkeit. Üblicherweise sind Massegläubiger bevorrechtigt und werden noch vorab vor allen anderen ...