Rz. 111
Es ist unvermeidlich, dass es im Laufe des Jahres zu Zahlungspflichten der Gemeinschaft kommt, die im Wirtschaftsplan nicht oder nicht in dieser Höhe vorgesehen sind oder für die das im Wirtschaftsplan vorgesehene Geld noch nicht auf dem Gemeinschaftskonto vorhanden ist. So kann es sein, dass eine Rechnung für eine beauftragte Erhaltungsmaßnahme höher ausfällt als im Wirtschaftsplan prognostiziert; oder es wird eine Klage gegen die Gemeinschaft erhoben, woraufhin die Rechtsverteidigung zu finanzieren ist; oder es kann günstig Heizöl eingekauft werden usw. Am Jahresanfang kommt es zudem zwangsläufig zu Liquiditätsengpässen. Bspw. ist die Prämie der Gebäudeversicherung häufig zu Jahresbeginn zu bezahlen ist; das dafür erforderliche Geld ist zwar (als Jahresbetrag) im Wirtschaftsplan vorgesehen, die Zahlungen treffen aber in monatlichen Abschlägen ein, weshalb erst am Jahresende der ganze Betrag vorhanden ist. Es ist naheliegend und üblich, dass der Verwalter bei Bedarf ohne weiteres "Anleihen" bei der Rücklage macht, um fällige Verbindlichkeiten der Gemeinschaft bedienen zu können. Diese Praxis ist gewissermaßen ins "Zwielicht" geraten, seit der BGH die Zweckbindung der Rücklage betont. Wie oben schon erwähnt, soll diese Zweckbindung jeglicher anderen Verwendung der Rücklage entgegenstehen, also auch ihrer Verwendung als "Zwischenfinanzierung" bei Liquiditätsengpässen. Was aber kann ein Verwalter bei Liquiditätsproblemen tun? Theoretisch müsste er, wenn er fällige Zahlungspflichten der Gemeinschaft mit den nicht zweckgebundenen Geldmitteln nicht bedienen kann, eine außerordentliche Versammlung einberufen, die dann entweder die Erhebung einer Sonderumlage oder die (ggf. vorübergehende) Verwendung von Geldern der Rücklage beschließen kann. Das ist praktisch aber fernliegend; wer als Verwalter so vorgeht, riskiert seine demnächstige Abberufung, denn die Eigentümer erwarten zu Recht, dass das Finanzwesen so organisiert ist, dass unter dem Jahr keine außerordentlichen Versammlungen erforderlich werden. Zur Lösung des Problems gibt es zwei (sich ergänzende) Wege:
Rz. 112
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Wie schon erwähnt (→ § 8 Rdn 108) kann und darf die Gemeinschaft eine Änderung des Bestimmungszwecks der Rücklage beschließen. Sie kann also den Zugriff auf die Erhaltungsrücklage zur Behebung von Liquiditätsengpässen per Beschluss gem. § 28 Abs. 3 WEG ermöglichen. Man kann trefflich über die notwendigen Inhalte eines solchen Beschlusses im Detail streiten (Begrenzung der Höhe nach, Rückzahlung der Entnahme in einem bestimmten Zeitraum usw.). Ein Muster für einen nach hiesigem Verständnis rechtmäßigen Beschluss findet sich unten (→ § 8 Rdn 180 Nr. 1d). Beschlussgegenstand ist nur die "Vorfinanzierung". Ob die Entnahme der Rücklage wieder zuzuführen ist oder ob die Finanzierung der betreffenden Ausgabe dauerhaft aus der Rücklage erfolgen soll, wird mittelbar durch den Beschluss der Jahresabrechnung entschieden. |
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Die Gemeinschaft beschließt die Bildung einer Liquiditätsrücklage in ausreichender Höhe. Das bedeutet nichts anderes, als dass ein bestimmter Teil des gemeinschaftlichen Vermögens als "nicht zweckgebunden" definiert wird, um den rechtmäßigen Zugriff darauf zu ermöglichen. Abgesehen davon, dass es absurd erscheint, einen weiteren separaten Geldbestand zu definieren, anstatt den Zugriff auf den vorhandenen (die Rücklage) zu erlauben, spricht nichts gegen diese Maßnahme. Die Anlage eines weiteren Bankkontos für die Liquiditätsrücklage ist nicht erforderlich, denn auch dabei handelt es sich nur um ein buchhalterisches Sondervermögen. Man kann, muss aber nicht im Beschluss näher definieren, welchem Zweck die Liquiditätsrücklage dient. |
Rz. 113
Muster 8.6: Beschluss zur Bildung einer Liquiditätsrücklage
Muster 8.6: Beschluss zur Bildung einer Liquiditätsrücklage
Aus der Erhaltungsrücklage werden mit Wirkung zum 1.1.2.023 EUR 10.000,00 zur Liquiditätsrücklage umgewidmet. Die Liquiditätsrücklage unterliegt keiner Zweckbindung.