Rz. 44
Punkt 11.1.1 ABRV enthält die Obliegenheit der versicherten Person, dem Versicherer den Eintritt des Versicherungsfalles unverzüglich mitzuteilen und gleichzeitig die Reise bei der Buchungsstelle oder im Falle der bereits angetretenen Reise beim Reiseveranstalter zu stornieren oder im Fall der schon angetretenen Reise den Abbruch anzuzeigen. Die Pflicht zur unverzüglichen Stornierung der Reise dient dazu die insoweit entstehenden Kosten möglichst niedrig zu halten. Sie entspricht daher der Schadenminderungspflicht nach § 82 VVG. Unverzüglich bedeutet nach § 121 Abs. 1 S. 1 BGB ohne schuldhaftes Zögern.
Das setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer/Versicherte Kenntnis der Tatsachen besitzt, die geeignet sind, einen der Versicherungsfälle in der Reiserücktrittskosten-Versicherung (vgl. Rdn 13) zu begründen, d.h. der Versicherte muss erkennen, dass ein versichertes Ereignis eingetreten ist, das den Antritt der Reise unzumutbar macht. Daran kann es fehlen, wenn gesicherte ärztliche Erkenntnisse nicht vorliegen und die versicherte Person subjektiv Reiseunfähigkeit oder die Unfähigkeit, die Reise zum geplanten Zeitpunkt anzutreten, nicht empfindet. Ist eine Risikoperson von dem versicherten Ereignis betroffen, kommt es nicht auf die Kenntnis der Risikoperson vom Eintritt des versicherten Ereignisses an, sondern auf die der versicherten Person.
Bei Erkennen des Rücktrittsgrundes ist die Reise unverzüglich zu stornieren. Allerdings wird dem Versicherten eine gewisse Prüfungs- und Überlegungsfrist eingeräumt. Der Versicherte muss sich so verhalten, wie sich ein vernünftiger nicht versicherter Reisender verhalten hätte. Bestehen Bedenken gegen die Reisefähigkeit, muss ärztlicher Rat eingeholt werden; somit erweitert sich die Stornierungspflicht bei gegebenem Anlass um eine Erkundigungspflicht. Der Versicherte muss sich zudem bemühen, die ärztliche Diagnose möglichst schnell zu erhalten.
Grundsätzlich ist eine Reise spätestens nach Aufnahme der stationären Behandlung oder unmittelbar nach Kenntnis von einer bevorstehenden Operation zu stornieren. Zu weit dürfte daher die Ansicht gehen, wenn bei der Diagnose einer Depression, infolge derer Arbeitsunfähigkeit attestiert wird, eine Obliegenheit angenommen wird, eine Reise, die erst in zwei bis drei Monaten angetreten werden soll, sofort zu stornieren, obwohl der Arzt der versicherten Person geraten hat, mit der Stornierung noch etwa vier Wochen abzuwarten, weil bis dahin ein Heilungserfolg offenbar wahrscheinlich erschien. In der Reiserücktrittskosten-Versicherung können die Versicherer vom Versicherungsnehmer/Versicherten in erheblichem Umfang die Vorlage ärztlicher Atteste verlangen (Punkt 11.1.2 ABRV), so dass im Gegenzug die versicherte Person, wenn sie nicht ausnahmsweise einmal selbst bessere Erkenntnismöglichkeiten haben sollte, sich auf einen ärztlichen Ratschlag wohl wird verlassen dürfen.
Die Stornierungspflicht besteht erst dann, wenn die Erkrankung einen Grad erreicht hat, der den Reiseantritt unzumutbar macht. Grundsätzlich sind eine Mittelohrentzündung, ein Mittelohrerguss und eine Nasenschleimhautentzündung keine schweren Erkrankungen. Prognostiziert der Arzt vor Antritt der Reise eine rechtzeitige Genesung, so entsteht die Stornierungspflicht erst in dem Moment, in dem der Arzt einen atypischen Heilungsverlauf feststellt und seine Prognose widerruft.
Rz. 45
Entwickelt sich beim Versicherten eine koronare Herzerkrankung mit häufigen Herzattacken und die Möglichkeit eines Infarktes, entsteht eine Obliegenheit zur sofortigen Stornierung. Das gilt auch bei einer komplizierten Augenoperation zweieinhalb Wochen vor Reiseantritt mit ungewisser Erfolgsaussicht. Auch wenn der Vater des Versicherten mit einem schweren Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert wird, entsteht die Obliegenheit zur sofortigen Stornierung. Eine Stornierung, die erst fünf Wochen nach Kenntnis der Reiseunfähigkeit erfolgt, ist nicht mehr unverzüglich. Zweifelhaft erscheint aber, ob schon die Einlieferung eines älteren, kranken Vaters des Versicherten ins Krankenhaus bereits die Obliegenheit entstehen lässt, unverzüglich zu stornieren, damit nicht mehr als 40 % Stornokosten entstehen. Ob dadurch schon eine Unzumutbarkeit des Reiseantritts begründet wurde, kann fraglich sein. Die Klage des Versicherten wurde im Übrigen abgewiesen.
Rz. 46
Fraglich erscheint es auch, eine unverzügliche Stornierungsobliegenheit anzunehmen, wenn sich der Versicherungsnehmer drei Wochen vor geplantem Reiseantritt ein Bein bricht, der Arzt den Antritt der Reise unter Anlegung eines Gipses aber für möglich hält, sich dann aber eine Woche vor dem geplanten Reiseantritt herausstellt, dass wegen Schwellungen die Reise nicht unternommen werden kann. Als sich herausstellte, dass der Versicherungsnehmer die Reise nicht antreten konnte, hatte er sofort storniert. Gegenstand des Rechtsstreits war die Differenz der Stornokosten, die angefallen wären, falls die Stornierung...