Entscheidungsstichwort (Thema)
Reiserücktrittsversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. In der Reiserücktrittsversicherung stellt eine schwere postoperative Komplikation auch bei einer vorher bekannten Grunderkrankung und vorheriger Kenntnis einer anstehenden Operation einer Risikoperson eine unerwartet schwere Erkrankung bzw. eine unerwartete Verschlechterung einer bestehenden Erkrankung dar.
2. Die Obliegenheit zur unverzüglichen Stornierung der Reise ist nicht verletzt, wenn die Stornierung erst mit Ablauf einer dem Versicherten dem Umständen nach zuzugestehenden Prüfungs- und Überlegungsfrist erfolgt.
Normenkette
ABRV § 2 Nr. 1; ABVR § 5
Verfahrensgang
LG Heidelberg (Urteil vom 02.06.2009; Aktenzeichen 2 O 62/09) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung das Urteil des LG Heidelberg vom 2.6.2009 - 2 O 62/09 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert und neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.086,40 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 17.12.2008 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 155,29 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des ersten Rechtszugs tragen der Kläger 80 % und die Beklagte 20 %. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 20 % und die Beklagte 80 %.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Zahlungspflicht aus einer Reiserücktrittsversicherung nach erfolgter Reiseabsage.
Der Kläger und seine Ehefrau buchten am 4.6.2008 bei der D eine vierwöchige Trekkingreise nach Nepal. Die Reise sollte vom 16.10.2008 bis zum 16.11.2008 stattfinden. Der Reisepreis i.H.v. insgesamt 6.790 EUR wurde vom Kläger bezahlt.
Am 15.10.2008 - und somit einen Tag vor der geplanten Abreise - stornierte der Kläger die Reise aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes seines Vaters, der sich bereits am 8.9.2008 einem geplanten operativen Eingriff in der Neurochirurgie des Universitätsklinikums H zwecks Dekompression des Spinalkanals unterzogen hatte, in dessen Folge es zu erheblichen postoperativen Komplikationen gekommen war, die schließlich am 16.9.2008 die Verlegung des Vaters des Klägers in die kardiologische Universitätsklinik mit anschließender Rückverlegung auf die Intensivstation der Neurochirurgie erforderlich gemacht hatten. Insgesamt befand der Vater des Klägers sich bis 23.10.2008 in stationärer Behandlung.
Zwischen den Parteien besteht eine Reiserücktrittsversicherung, wonach die Beklagte im Versicherungsfall verpflichtet ist, dem Versicherungsnehmer die diesem vom Reiseveranstalter in Rechnung gestellten Stornogebühren abzgl. eines Selbstbehalts i.H.v. 20 %, mindestens jedoch 100 EUR je Person, zu erstatten. Die Allgemeinen Bedingungen für die Reise-Rücktrittskosten-Versicherung - ABRV - sehen einen Versicherungsfall u.a. als gegeben an, wenn aufgrund einer unerwarteten schweren Erkrankung der Eltern bzw. Schwiegereltern des Versicherten diesem der planmäßige Antritt der Reise nicht zugemutet werden kann.
Nach Stornierung der Reise stellte der Reiseveranstalter dem Kläger 100 % des Reisepreises als Stornobetrag in Rechnung. Dies nahm der Kläger zum Anlass, die Beklagte unter Fristsetzung zum 16.12.2008 zur Zahlung aus der Reiserücktrittsversicherung aufzufordern, woraufhin die Beklagte vorgerichtlich 1.086,40 EUR an den Kläger bezahlte, was 20 % der Stornogebühren abzgl. des Selbstbehalts entspricht.
In erster Instanz vertrat der Kläger noch die Auffassung, ihm stünden 100 % des Reisepreises (abzgl. des Selbstbehalts) zu und verfolgte mit seiner Klage daher den Differenzbetrag zwischen vorgerichtlicher Zahlung und Reisepreis (5.432 EUR). Nach der Operation hätte sich der Gesundheitszustand seines Vaters zunächst verbessert, erst Ende September sei es zu Komplikationen und in der Folge Anfang Oktober dann zu einer plötzlichen Verschlechterung des Zustandes gekommen, woraufhin die Ärzte dem Kläger am 14.10.2008 von der Reise abgeraten hätten. Eine frühere Stornierung sei nicht angezeigt gewesen, die eingetretenen Komplikationen seien nicht vorhersehbar gewesen. Bei normalem Verlauf wäre der Vater des Klägers bereits Ende September aus dem Krankenhaus entlassen worden.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.432 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 17.12.2008 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 546,69 EUR zu zahlen.
Die Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt mit der Begründung, der Vater des Klägers habe schon seit geraumer Zeit an Beschwerden gelitten, die zu der ersten Operation geführt hätten. Zudem sei der Kläger wegen des hohen Alters seines Vaters und bestehender weiterer Erkrankungen durch Ärzte des Universitätsklinikums auf Komplikationsgefahren des operativen Eingriffs hingewiesen worden. Eine unerwartete Krankheit des Vaters im Sinne der ABRV liege nicht vor. Die Operation habe bereits frühzeitig ab 16.9.2008...