Leitsatz
Bei Entwicklung eines kritischen Gesundheitszustands eines Familienmitglieds steht dem Versicherungsnehmer eine angemessene Überlegungsfrist zur Entscheidung über den Reiserücktritt zu.
Sachverhalt
Der Kläger und seine Ehefrau buchten im Juni 2008 eine 4-wöchige Trekkingreise nach Nepal. Geplanter Abreisetermin: 16.10.2008. Der Reisepreis i.H.v. 6790 EUR wurde seitens des Klägers bezahlt. Am 15.10.2008, 1 Tag vor der Abreise, stornierte der Kläger die Reise aufgrund des kritischen Gesundheitszustands seines Vaters.
Dieser hatte sich am 8.9.2008 einem komplizierten, operativ orthopädischen Eingriff unterzogen. Nachdem die OP ordnungsgemäß verlaufen war, wurde der Vater des Klägers aufgrund einer erheblichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands am 16.9.2008 in die Kardiologische Universitätsklinik verlegt. Der Gesundheitszustand besserte sich nicht mehr, sodass der Kläger am 15.10.2008 die Reise stornierte. Nach dem seitens des Klägers geschlossenen Vertrag mit der Reiserücktrittsversicherung war er berechtigt, die Reise im Fall einer "unerwarteten Krankheit" eines engen Familienangehörigen auf Kosten der Versicherung zu stornieren. Die Stornierung hat nach AGB unverzüglich nach Bekanntwerden des Versicherungsfalls zu erfolgen.
Das LG hat die Klage auf Versicherungsschutz abgewiesen, da der Kläger grob fahrlässig die Stornierung der Reise zu spät vorgenommen habe. Spätestens nach Verlegung des Vaters in die Kardiologie am 16.9.2008 hätte der Kläger nach Auffassung des LG die Stornierung sofort vornehmen müssen. Anders sah dies das OLG: Entgegen der Auffassung der Versicherung sah das OLG die "unerwartete Krankheit" nicht schon in dem ursprünglich durchgeführten orthopädischen Eingriff, sondern erst in der infolge der eingetretenen Komplikationen erforderlichen Verlegung in die Kardiologie begründet. Es billigte dem Kläger zu, dass er nach Eintritt der postoperativen Komplikationen eine angemessene Zeit zur Entscheidungsfindung benötigte. Auch das OLG sah jedoch die Stornierung der Reise am 15.10.2008 als zu spät an. Nach Auffassung des OLG war nach der verspäteten Stornierung der Kläger jedoch so zu behandeln, wie dies bei rechtzeitiger Stornierung geschehen wäre. Rechtzeitig wäre der Rücktritt gewesen, wenn der Kläger diesen unmittelbar in den ersten Tagen nach Verlegung des Vaters in die Kardiologie erklärt hätte. In diesem Fall hätte er gegenüber dem Reiseveranstalter eine Stornierungsgebühr i.H.v. 40 % des Reisepreises zahlen müssen. Den sich daraus errechneten Betrag abzüglich des vereinbarten Eigenanteils hatte die Versicherung dem Kläger als Schaden zu ersetzen. Auf den darüber hinaus gehenden Kosten blieb der Kläger sitzen.
Link zur Entscheidung
OLG Karlsruhe, Urteil v. 17.9.2009, 12 U 155/09.