Dr. Michael Nugel, Sebastian Gutt
Rz. 123
Der BGH in der Vergangenheit seine Rechtsprechung zum Ersatz des Fahrzeugschadens in einer Vielzahl an Entscheidungen fortentwickelt und konkretisiert. Dabei ist zwischen vier "Stufen" der Fahrzeugschäden zu unterscheiden, welche dem Geschädigten unterschiedliche Varianten der Schadensabrechnung ermöglichen bzw. diese begrenzen. Zur Bestimmung der einzelnen Stufen sind jeweils die Reparaturkosten (zzgl. merkantiler Minderwert) brutto dem Wiederbeschaffungswert (brutto) gegenüberzustellen, es sei denn, es besteht eine Vorsteuerabzugsberechtigung beim Geschädigten. Dabei muss der Geschädigte sich grundsätzlich bei gleichwertigen Möglichkeiten der Kompensation des Schadens auf die günstigste Variante verweisen lassen, es sei denn, es besteht ein schützenswertes Integritätsinteresse.
1. Erste Stufe
Rz. 124
Der Reparaturaufwand ist geringer als der Wiederbeschaffungsaufwand
Die Abrechnung auf dieser Stufe führt in der Regel zu keinen besonderen Problemen. Der Geschädigte kann lediglich die Reparaturkosten abrechnen, die den kostengünstigsten Aufwand bei der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes darstellen. Hierbei kann er fiktiv die Reparaturkosten unter Ausschluss der Mehrwertsteuer begehren oder aber konkret unter Vorlage der Reparaturrechnung abrechnen und auch die darin ausgewiesene Mehrwertsteuer ersetzt verlangen. Im Regelfall kann er sogar nach einer zuerst erfolgten fiktiven Abrechnung die Abrechnungsart wechseln und unter Vorlage der Reparaturkostenrechnung die angefallene Mehrsteuer nachträglich ersetzt verlangen, es sei denn, er hat vorher auf eine weitergehende Abrechnung verzichtet.
Rz. 125
Muster 8.34: Nachforderung der Mehrwertsteuer
Muster 8.34: Nachforderung der Mehrwertsteuer
_________________________ Versicherung AG
_________________________
_________________________
Schaden-Nr./VS-Nr./Az. _________________________
Schaden vom _________________________
Pkw _________________________, amtl. Kennzeichen _________________________
Sehr geehrte Damen und Herren,
in vorbezeichneter Schadensache hat mein Mandant sein Fahrzeug zwischenzeitlich reparieren lassen. Dabei ist ausweislich der in Kopie beigefügten Rechnung vom _________________________ eine Mehrwehrsteuer in Höhe von _________________________ EUR angefallen. Hierzu erlaube ich mir den Hinweis, dass die ursprünglich erfolgte fiktive Abrechnung zu einem späteren Zeitpunkt auf eine konkrete Abrechnung umgestellt werden kann und die dabei anfallende Mehrwertsteuer zu ersetzen ist (BGH, Urt. v. 17.10.2006 – VI ZR 249/05 = NJW 2007, 67).
Für den Ausgleich des oben genannten von Ihnen nach dieser Rechtsprechung auch zu ersetzenden Betrags habe ich mir vorsorglich eine Frist bis zum
_________________________ (10-Tages-Frist)
notiert.
Mit freundlichen Grüßen
(Rechtsanwalt)
Rz. 126
Der Geschädigte kann sich auch entscheiden, sein Fahrzeug nicht zu reparieren und stattdessen ein Ersatzfahrzeug anzuschaffen. Die dabei anfallenden Kosten erhält er aber nur bis zur Grenze der Reparaturkosten ersetzt. Fällt bei der Anschaffung des Ersatzfahrzeugs auch eine Mehrwertsteuer an, ist diese ebenfalls bis zur Grenze der Reparaturkosten zu ersetzen. Er darf aber nicht eine konkrete Abrechnung mit der fiktiven Abrechnung vermengen.
2. Zweite Stufe
Rz. 127
Der "100 % Fall"
Der Anwendungsbereich der zweiten Stufe ist erreicht, wenn die Reparaturkosten weiterhin unter dem Wiederbeschaffungswert liegen, jedoch den Wiederbeschaffungsaufwand (d.h. den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts) übersteigen. Da zu überprüfen ist, welche Schadenskompensation günstiger ist, wenn sie tatsächlich durchgeführt wird, ist überzeugenderweise auf die Bruttowerte abzustellen, es sei denn, es besteht eine Vorsteuerabzugsberechtigung. Dieser Vergleich ermöglicht die zutreffende Einordnung der richtigen Stufe, welche die weiteren Voraussetzungen der Abrechnung des Fahrzeugschadens selbst dann bestimmt, wenn die Netto-Werte eine andere Abrechnung nahelegen.
Beispiel
Die Reparaturkosten betragen 11.900 EUR brutto = 10.000 EUR netto. Der Wiederbeschaffungswert bei dem regelbesteuerten neuwertigen Kfz liegt bei 23.800 EUR brutto = 20.000 EUR netto und der Restwert steuerneutral bei 11.000 EUR. Der Wiederbeschaffungsaufwand beträgt damit brutto 12.800 EUR, netto dagegen nur 9.000 EUR. Maßgeblich für die Einstufung innerhalb der vier Stufen ist bei Privatpersonen ohne Vorsteuerabzugsberechtigung die Betrachtung der Brutto-Werte. Danach handelt es ...