Isabelle Losch, Walter Krug
Rz. 21
Das Gesetz unterscheidet gem. § 2229 Abs. 4 BGB drei Arten von Testierunfähigkeit:
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die krankhafte Störung der Geistestätigkeit |
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die Geistesschwäche |
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die Bewusstseinsstörung. |
Der Jurist spricht in diesen Fällen von der krankhaften Störung der Geistestätigkeit, der Geistesschwäche und der Bewusstseinsstörung; der psychiatrische Sachverständige benennt hierzu die zugrunde liegende Erkrankung, das Syndrom bzw. eine sonstige Störung. Die juristischen und medizinischen Begrifflichkeiten sind somit nicht kongruent, sondern sind durch jahrelange Rechtsprechung bzw. medizinisch-psychiatrische Diagnose-Klassifikationen, in Deutschland die verbindlich geltende ICD-10 GM (International Classification of Diseases, Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) der WHO definiert worden.
Rz. 22
Dabei ist zu beachten, dass die Erkrankungen bzw. Störungen lediglich dann die Testierunfähigkeit bedingen, wenn der Testator die Bedeutung der von ihm abgegebenen Willenserklärung nach Inhalt und Tragweite nicht erkennen (Einsichtsvermögen) und nicht nach dieser Einsicht handeln kann, so dass aufgrund des fehlenden Einsichtsvermögens eine freie Willensbestimmung nicht möglich ist. Es muss somit festgestellt werden, ob eine relevante Erkrankung vorliegt und ob diesbezüglich Auswirkungen im Hinblick auf die freie Willensbestimmung vorliegen. Auch eine nur vorübergehende krankhafte Störung der Geistestätigkeit oder Geistesschwäche kann in dem betreffenden Zeitraum zur Testierunfähigkeit führen.
a) Krankhafte Störung der Geistestätigkeit
Rz. 23
Hierunter fallen nicht nur kognitive, sondern auch affektive Störungen, wie Manien und Depressionen, mithin psychotische Störungen, wenn diese schwer genug ausgeprägt sind. Als Gruppen der krankhaften Störung der Geistestätigkeit zählt Prof. Dr. Tilman Wetterling die Folgenden auf:
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das amnestische Syndrom |
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das demenzielle Syndrom |
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das depressive Syndrom |
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das manische und bipolar affektive Syndrom |
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die Persönlichkeitsveränderungen |
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das schizophrene Syndrom und andere Wahnerkrankungen |
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Suchterkrankungen (Gebrauch psychotroper Substanzen) |
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sonstige Erkrankungen wie Autismus, Enzephalopathien, Epilepsie, Infektionen des zentralen Nervensystems, multiple Sklerose, Parkinson-Syndrom, Schädel-Hirn-Trauma (Kopfverletzungen), Schlaganfall (Hirninfarkt bzw. Hirnblutung), Tumore des Zentralsystems |
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Wirkungen von Arzneimitteln (Medikamenten) |
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psychiatrische Komorbidität |
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Multimorbidität. |
b) Geistesschwäche (Intelligenzminderung)
Rz. 24
Die Geistesschwäche ist eine quantitativ geringer ausgeprägte krankhafte Störung der Geistestätigkeit und nicht mit Schwachsinn (Intelligenzminderung) gleichzusetzen. Prof. Dr. Tilman Wetterling erwähnt die folgenden psychopathologischen und neuropsychologischen Symptome, die bei Menschen mit Intelligenzminderung auftreten können:
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Störungen der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung insbesondere komplexer Sachverhalte |
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Störungen der Sprache, welche sich u.a. im Umfang des Wortschatzes, des allgemeinen Wortverständnisses sowie auch der Grammatik niederschlagen |
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Störungen der Informationsverarbeitung mit einer einhergehenden Minderung der Urteils- und Kritikfähigkeit |
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Störungen der Exekutivfunktion, so dass eine Handlungsplanung und Handlungsdurchführung erschwert möglich sind |
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Störungen des Antriebs und Psychomotorik |
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Störungen des Sozialverhaltens und der Emotionalität |
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Störungen der Impulsivität des Erkrankten. |
c) Bewusstseinsstörung
Rz. 25
Zu der Gruppe der Bewusstseinsstörungen zählen sowohl quantitative als auch qualitative Bewusstseinsstörungen, wie Delir und Verwirrtheitszustand. Es ist im Rahmen der Feststellung der Testierunfähigkeit immer zweistufig zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung eine krankheitswertige psychisch-geistige Störung vorlag und ob aufgrund der daraus resultierenden psychopathologischen Funktionsdefizite die Freiheit der Willensbestimmung aufgehoben war. Für die Beurteilung ist nicht alleine die Diagnose einer organischen Störung entscheidend, sondern Grad und Ausmaß der nachweisbaren psychopathologischen Auffälligkeiten. Eine diagnostische Zuordnung allein genügt daher nicht, es kommt vielmehr auf Ausmaß und Intensität der psychischen Störung an.