Rz. 48

Über 2 % der Männer und Frauen über 64 Jahren, die nicht dement sind, leiden unter Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Diese Krankheit kann entweder isoliert als wahnhafte Störung oder im Rahmen einer neuropsychiatrischen Krankheit auftreten, die Betroffenen leiden unter Realitätsverlust, sind in ihrer subjektiven Überzeugung nicht beeinflussbar und Ich-bezogen.[86] Häufige Formen sind der Beeinträchtigungswahn und Verfolgungswahn, der Beziehungswahn und Eifersuchtswahn, der Größenwahn, der Schuldwahn, der Versündigungswahn, der Verarmungswahn sowie der coenästhestische Wahn.[87] Der Wahn wird häufig Dritten nicht mitgeteilt und ist alleine ein subjektives Erleben.[88] Vor allem bei nicht eindeutigen Zeugenaussagen einen Wahn postum rückblickend sicher zu diagnostizieren ist nicht möglich.[89] Zu beachten ist, dass eine Testierunfähigkeit nur besteht, wenn sich der Wahn auf das Erbe und/oder auf die potentiellen Erben bezieht,[90] dem Beeinträchtigten muss es zum Zeitpunkt der Errichtung möglich sein, ein von seinen Wahnvorstellungen unbeeinflusstes Urteil über die Rechtsnachfolge von Todes wegen zu bilden.[91] Im Rahmen der Begutachtung muss sich der Sachverständige somit mit dem Inhalt der vom Erblasser geäußerten wahnhaften Gedanken genauestens auseinandersetzen.

 

Rz. 49

Es ist nicht unüblich, dass der Erblasser unter psychotischen Wahnvorstellungen leidet und gleichzeitig jedoch zu vernünftigen Erwägungen fähig ist. Im Bereich der Psychopathie ist die Testierunfähigkeit zwar nicht ausgeschlossen, jedoch bei einem besonders hohen Grad von psychopatischen Störungen nur ausnahmsweise gegeben.[92]

 

Rz. 50

Testierunfähigkeit kann auch dann vorliegen, wenn die paranoiden Wahnvorstellungen des Erblassers, die sich vor allem auf eine als (testamentarischer) Erbe in Betracht kommende Person beziehen, das freie Urteil darüber unmöglich machen, ob die Einsetzung anderer Personen als Erben sittlich gerechtfertigt ist.[93]

[86] Wetterling, ErbR 2018, 10.
[87] Wetterling, Freier Wille und neuropsychiatrische Erkrankungen, S. 178 f.; Wetterling, ErbR 2018, 10, 11.
[88] BayObLG, Beschl. v. 17.8.2014 – 1 Z BR 53/04.
[89] Ausführlich hierzu, insbesondere auch im Zusammenhang mit weiteren psychopathologischen Auffälligkeiten: Wetterling, ErbR 2018, 10, 11.
[90] BayObLG, Beschl. v. 14.9.2001 – 1 Z BR 124/00; BayObLG, Beschl. v. 17.8.2004 – I ZR BR 53/04.
[92] Ausführlich hierzu: BayObLG FamRZ 1996, 1109.
[93] BayObLG NJW-RR 2000, 6 = FamRZ 2000, 701.

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