Rz. 49
Nach § 100 VVG bzw. A 1 Ziff. 4.1 Abs. 1 AVB/Ziff. 5.1 Abs. 1 AHB hat der Versicherer seinem Versicherungsnehmer gegenüber im Rahmen eines einheitlichen Deckungsanspruches folgende Leistungen zu erbringen – und zwar
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nach Prüfung der Haftpflichtfrage, entweder |
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Freistellung oder |
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Rechtsschutz. |
Erst nach Prüfung der Haftpflichtfrage steht fest, ob die gegen den Versicherungsnehmer erhobenen Ansprüche berechtigt oder unberechtigt sind.
Nach B 3 Ziff. 3.1 AVB/Ziff. 25.1 AHB ist jeder Versicherungsfall anzuzeigen und zwar auch, wenn der Geschädigte noch keine Schadensersatzforderungen geltend macht. Diese Regelung ist zunächst sanktionslos (vgl. § 1 Rdn 175, 190, 204). Spätestens wenn der Versicherungsnehmer von einem Dritten in Anspruch genommen wird, sollte er den Schaden melden. Die eigene Schadensbearbeitung oder Korrespondenz mit dem Geschädigten ist nicht zu empfehlen. Sie ist vielmehr dem Versicherer überlassen, der hierfür fachkundige Mitarbeiter vorhält. Daher benötigt der VN außergerichtlich auch keinen eigenen Rechtsanwalt (vgl. auch Rdn 64).
Rz. 50
Je nach Ergebnis der Prüfungen ist von unberechtigten oder berechtigten Schadensersatzansprüchen auszugehen. Besteht die Haftpflichtforderung nicht, hat der Versicherer seinem Versicherungsnehmer Versicherungsschutz in Form der Abwehr unberechtigter Ansprüche (Rechtschutz) zu gewähren. Von berechtigten Ansprüchen des Dritten hat der Versicherer seinen Versicherungsnehmer durch Zahlung zu befreien (Freistellung). Bei noch nicht bezifferbaren Zukunftsschäden kommt anstelle der Zahlung ein Anerkenntnis gegenüber dem Geschädigten in Betracht, das der Versicherer meist ausdrücklich auf seinen Versicherungsumfang begrenzen wird. Bisweilen scheuen die Versicherungsgesellschaften die Erklärung eines Anerkenntnisses, verzichten dann meist für einen längeren Zeitraum auf die Einrede der Verjährung.
Sämtliche ausdrücklichen oder auch konkludenten (z.B. durch Zahlung) Erklärungen des Versicherers sind für den Versicherungsnehmer bindend (vgl. Rdn 60).
Rz. 51
Wie der Versicherer im konkreten Fall seine Vertragspflichten erfüllt, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen – er hat insoweit ein Wahlrecht. So kann der Versicherer kleine Forderungen des Geschädigten auch ohne abschließende Prüfung und sogar bei entgegenstehender Rechtslage erfüllen, wenn dies wirtschaftlich vernünftiger ist, als die Haftpflichtfrage durch einen langjährigen, kostenintensiven Prozess zu klären.
Rz. 52
Berechtigt sind Ansprüche nach A 1 Ziff. 4.1 Abs. 2 S. 1 AVB/Ziff. 5.1. Abs. 2 S. 1. AHB:
Zitat
"… wenn der Versicherungsnehmer aufgrund Gesetz, rechtskräftigen Urteils, Anerkenntnisses oder Vergleich zur Entschädigung verpflichtet und der Versicherer hierdurch gebunden ist."
A 1 Ziff. 4.1 Abs. 2 S. 2 AVB/Ziff. 5.1. Abs. 2. S. 2 AHB stellt klar, dass vom Versicherungsnehmer eigenmächtig veranlasste Anerkenntnisse oder Vergleiche den Versicherer nur binden, wenn sie der Rechtslage entsprechen.
Rz. 53
Gem. § 105 VVG kann der Versicherungsnehmer ein Anerkenntnis abgeben, ohne dass er aus rein formalen Gründen seinen Versicherungsschutz verliert. Allerdings ist hier Vorsicht geboten, denn der Versicherungsnehmer läuft Gefahr, sich gegenüber dem Dritten durch eine solche Erklärung rechtsgeschäftlich zu binden, ohne dass schadensersatzrechtlich eine Verpflichtung bestünde.
Beispiel
Die Versicherungsnehmerin geht mit ihrem 3-jährigen Sohn an der Hand spazieren. Das Kind reißt sich uneinfangbar los und verursacht den Sturz eines Radfahrers. Die Mutter erklärt noch am Unfallort, natürlich für die Schäden einzustehen.
Durch das Anerkenntnis haftet sie (ungeachtet insoweit möglicher Kondiktionsansprüche über §§ 812 ff. BGB) gegenüber dem Dritten. Der Versicherer ist hieran allerdings nicht gebunden, weil die Mutter keine Aufsichtspflichtverletzung begangen hat und deshalb nach dem Gesetz nicht haften würde. Er muss die Versicherungsnehmerin nicht von den durch Anerkenntnis bewirkten Ansprüchen freistellen.
Rz. 54
Ob ein Anerkenntnis der tatsächlichen Rechtslage entspricht und den Versicherer bindet, ist im Deckungsprozess zu klären. Der Haftpflichtprozess, den der Versicherer zu finanzieren und in dem den Geschädigten die Darlegungs- und Beweislast getroffen hätte, entfällt. Das ist für den Versicherungsnehmer misslich, weil er in dem nunmehr auf eigenes Kostenrisiko zu führenden Deckungsprozess das von dem Anerkenntnis unabhängige Bestehen des Haftpflichtanspruches des Dritten darlegen und beweisen muss.
Rz. 55
Bei einer Aufrechnungserklärung des Geschädigten oder des Versicherungsnehmers im Rahmen der Haftpflicht- und etwaiger Gegenforderungen ist der Versicherer gleichwohl zur Deckung verpflichtet:
Rechnet der Geschädigte mit seiner vermeintlichen Schadensersatzforderung gegenüber anderen Ansprüchen des Versicherungsnehmers (z.B. auf Vergütung) auf und ist die Haftpflichtforderung berechtigt, wandelt sich der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers in einen Zahlungsanspruch auf Erstattung der...