§ 9 Ansprüche auf Auskunft und Wertermittlung / b) Wertgutachten

Rz. 93

Reichen die dargelegten Tatsachen und vorgelegten Unterlagen nicht aus, damit der Pflichtteilsberechtigte den Wert des Nachlasses selbst ermitteln kann, besteht ein Anspruch auf Ausarbeitung und Vorlage eines Bewertungsgutachtens durch einen unparteiischen Sachverständigen.^[222] Bei der Bewertung von betrieblichem Vermögen steht dem Pflichtteilsberechtigten neben dem Anspruch auf Vorlage von Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen und zugrundeliegender Geschäftsbücher für fünf zurückliegende Jahre zusätzlich auch ein Anspruch auf Wertermittlung durch Sachverständigengutachten zu.^[223] Der Erbe hat die Erstellung des Gutachtens nicht nur zu dulden, sondern muss diese auf Kosten des Nachlasses in eigener Verantwortung in Auftrag geben.^[224] Der Pflichtteilsberechtigte darf auf Kosten des Nachlasses ein Gutachten nicht selbst in Auftrag geben, selbst wenn der Erbe mit dieser Verpflichtung in Verzug ist.^[225]

Rz. 94

Der Sachverständige selbst muss nicht öffentlich bestellt und vereidigt sein.^[226] Er muss jedoch unabhängig und unparteiisch sein Gutachten erstellen.^[227] Als befangen gilt ein Sachverständiger, wenn ein Grund gegeben ist, der bei vernünftiger Würdigung ein Misstrauen der Partei von ihrem Standpunkt aus rechtfertigen kann.^[228] Die Anforderungen sollten insgesamt aber nicht überspannt werden, da das Gutachten letztlich nicht dazu dient, Meinungsunterschiede zwischen den Parteien zu entscheiden.^[229] Das Gutachten dient dem Zweck, den Pflichtteilsberechtigten in die Lage zu versetzen, sich ein umfassendes Bild über den Nachlass und seinen Pflichtteilsanspruch zu machen, damit dieser gegebenenfalls in einem Klageantrag genau zu beziffern ist. Ziel der Gutachtenerstellung ist es insoweit, das Prozessrisiko des Pflichtteilsberechtigten so gering wie möglich zu halten.^[230] Kommen mehrere Bewertungsmethoden in Betracht, so hat sich der Sachverständige in seinem Gutachten damit auseinanderzusetzen, die unterschiedlichen Konsequenzen aufzuzeigen und unter Anwendung der seiner Meinung nach zutreffend erachteten Methode einen bestimmten Verkehrswert zu ermitteln.^[231]

Rz. 95

Zur Bewertung von Kunstgegenständen kann die Einschätzung eines renommierten Kunstauktionshauses genügen.^[232] Wenngleich sich die Bewertung von Nachlassgegenständen, die zeitnah nach dem Erbfall veräußert werden, am tatsächlich erzielten Verkaufspreis orientieren, schließt dies einen Anspruch auf Vorlage eines Gutachtens nicht aus.^[233] Dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Wertermittlung § 2314 steht nicht der Umstand entgegen, dass der Nachlassgegenstand vom Erben nach dem Erbfall veräußert wurde.^[234]

Rz. 96

Bezüglich des Erbfalles ist bei der Wertermittlung gem. § 2311 BGB auf den Stichtag abzustellen. Bei Pflichtteilsergänzungsansprüchen ist im Rahmen des Niederstwertprinzips die Wertermittlung auf die Stichtage Erbfall und Vollzug der Schenkung zu beziehen.^[235]

Rz. 97

Das Gutachten ist für die Parteien grundsätzlich unverbindlich.^[236] In einem gerichtlichen Verfahren ist es Parteigutachten, so dass insoweit die Einholung eines weiteren Gutachtens durch einen amtlich bestellten und vereidigten Sachverständigen entsprechend § 404 Abs. 2 ZPO erforderlich wird.

[222] BGH NJW 1975, 258; BGH ZEV 1999,110; BGHZ 89, 24, 29; OLG Brandenburg ZErb 2004, 132; OLG Köln ZEV 2006, 77; BeckOK BGB/Müller-Engels, § 2314 Rn 40.

[223] BGH v. 30.10.1974 – IV ZR 41/73, NJW 1975, 258, OLG Köln v. 10.1.2014 – 1 U 56/13, ZEV 2014, 660.

[224] BGHZ 108, 393, 397.

[225] OLG Karlsruhe NJW-RR 1990, 393; Staudinger/Herzog, § 2314 Rn 298; Edenfeld, ZErb 2015, 346, 350; a.A. Coing, NJW 1983, 1298, 1300.

[226] OLG Düsseldorf ZEV 1996, 431; Bißmaier, ZEV 1997, 149.

[227] BGH NJW 1989, 2887; Grüneberg/Weidlich, § 2314 Rn 15.

[228] OLG Karlsruhe ZEV 2004, 468, 469; OLG Düsseldorf ZEV 1996, 431.

[229] Staudinger/Herzog, § 2314 Rn 281.

[230] BGHZ 107, 200, 204; OLG Köln ZEV 2006, 77, 78; OLG Brandenburg ZErb 2004, 132, 133.

[231] KG-Report 1990, 90; Staudinger/Herzog, § 2314 Rn 288.

[232] OLG Köln ZErb 2006, 236.

[233] BGH ZErb 2011, 83; OLG Frankfurt ZEV 2011, 397.

[234] BGH ZErb 2021, 467.

[235] BGH NJW 1990, 180; BGH NJW 1993, 2727.

[236] OLG Karlsruhe ZEV 2004, 468, 469.