A. Allgemeines
Rz. 1
Von der Testierfähigkeit zu unterscheiden ist die Testierfreiheit des Erblassers. Diese kann z.B. dadurch eingeschränkt sein, dass sich der Erblasser bereits in einem Erbvertrag oder einem durch wechselbezügliche Verfügungen bindend gewordenen gemeinschaftlichen Testament gebunden hat. Bei Vorliegen einer solchen bindenden Verfügung von Todes wegen sind alle späteren Verfügungen nichtig, wenn sie der früheren widersprechen. Für den Erbvertrag wird dies in § 2289 Abs. 1 BGB geregelt, für das gemeinschaftliche Testament in den §§ 2270, 2271 Abs. 1 BGB.
Im Rahmen der Gestaltung bietet es sich daher an, die Frage der Testierfreiheit in der Verfügung von Todes wegen klarzustellen und mit einem allgemeinen Widerruf aller bisherigen Verfügungen von Todes wegen zu verknüpfen.
Rz. 2
Muster 9.1: Aufhebung bisheriger Verfügungen von Todes wegen
Muster 9.1: Aufhebung bisheriger Verfügungen von Todes wegen
Ich, _________________________, versichere, bisher noch keine letztwillige Verfügung errichtet zu haben und insbesondere nicht durch einen Erbvertrag oder ein gemeinschaftliches Testament an der Errichtung der vorstehenden letztwilligen Verfügung gehindert zu sein. Hiermit widerrufe ich alle von mir getroffenen letztwilligen Verfügungen von Todes wegen in vollem Umfang.
B. Testierfreiheit und Bindungswirkung
I. Wechselbezüglichkeit von Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament
Rz. 3
Bei einem Ehegattentestament ist eine Bindungswirkung dann anzunehmen, wenn es sich um eine wechselbezügliche Verfügung handelt (vgl. hierzu § 3 Rdn 17 ff. und § 19 Rdn 52 ff.). Das ist der Fall, wenn die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die des anderen getroffen worden wäre. Anders gesagt: der eine Ehegatte hat seine Verfügung nur im Hinblick auf die Verfügung des anderen so bestimmt. Voraussetzung ist somit eine gegenseitige innere Abhängigkeit beider Verfügungen. Gemäß § 2270 Abs. 3 BGB können jedoch in einem gemeinschaftlichen Testament nur die Erbeinsetzung, das Vermächtnis, die Auflage und die Wahl des anzuwendenden Rechts wechselbezüglich und bindend sein.
II. Feststellung der Wechselbezüglichkeit
Rz. 4
Ist in einem gemeinschaftlichen Testament die Wechselbezüglichkeit nicht ausdrücklich genannt, so ist zunächst nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu ermitteln, ob eine Wechselbezüglichkeit vorliegt (§§ 133, 2084 BGB). Maßgebend ist dabei der Wille der Ehepartner zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Die Tatsache, dass Ehepartner in einer gemeinschaftlichen Urkunde testieren, bedeutet nicht zwangsläufig, dass wechselbezügliche Verfügungen vorliegen. Im Rahmen der Auslegung ist die Wechselbezüglichkeit für jede Verfügung gesondert festzustellen. Ist durch Auslegung eine Wechselbezüglichkeit nicht festzustellen, ist auf die Vermutungsregelung des § 2270 Abs. 2 BGB zurückzugreifen (vgl. § 3 Rn 17 ff.).
Rz. 5
Die Vorschrift des § 2270 Abs. 2 BGB enthält zwei Alternativen, die zu einer Vermutung der Wechselbezüglichkeit führen. Nach § 2270 Abs. 2 1. Alt. BGB ist eine Wechselbezüglichkeit anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken. Ein Zuwenden liegt vor, wenn der Ehepartner jeweils zum Erben, Vorerben oder Nacherben oder auch nur zum Vermächtnisnehmer bestimmt wird. Gegenseitigkeit liegt dabei auch vor, wenn ein Ehepartner zum Erben, dieser den anderen aber nur zum Vermächtnisnehmer bestimmt hat.
Rz. 6
Nach § 2270 Abs. 2 2. Alt. BGB ist von einer Wechselbezüglichkeit auszugehen, wenn dem einen Ehegatten eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten von diesem eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht (vgl. hierzu § 19 Rdn 53 ff.). Die Frage, ob ein Verwandtschaftsverhältnis vorliegt, bestimmt sich nach § 1589 BGB. Das Verwandtschaftsverhältnis muss dabei zu dem Ehepartner bestehen, der die gegenläufige Verfügung getroffen hat. Nicht erforderlich ist, dass das Verwandtschaftsverhältnis zu beiden Ehepartnern besteht. An den Begriff der nahe stehenden Person ist ein strenger Maßstab anzulegen. In Betracht kommen Adoptiv-, Pflege- und Stiefkinder, enge Freunde, langjährige Angestellte und ggf. auch Verschwägerte. Nicht darunter fallen demnach Personen, die zum Zeitpunkt der Errichtung noch nicht geboren oder dem Erblasser nicht bekannt waren.
III. Bindende Verfügungen beim Erbvertrag
Rz. 7
Bei ei...