Dr. iur. Stephanie Herzog
Rz. 60
a) Hat der Erblasser durch letztwillige Verfügung Vermächtnisse oder Auflagen angeordnet, die den Nachlass überschulden würden, so ist zunächst im Wege der ergänzenden Auslegung zu untersuchen, ob der Erblasser das Vermächtnis wirklich auch im Falle der Aufzehrung des Nachlasses so wollte, wie er es ursprünglich angeordnet hat. Insbesondere wenn sich die Vermögensverhältnisse des Erblassers zwischen seinem Testat und dem Erbfall verschlechtert haben (z.B. wegen Aufwendung von Vermögensmitteln infolge seiner eigenen Pflegebedürftigkeit), mag dies ggf. nicht der Fall sein.
Rz. 61
Falls die Auslegung ergibt, dass die Anordnungen der Vermächtnisse bzw. Auflagen nach dem Willen des Erblassers fortbestehen sollen, muss der Erbe gleichwohl nicht befürchten, sein Eigenvermögen hierfür aufzehren zu müssen. Auch insoweit kann er die Haftung auf den Nachlass beschränken und dies sogar auf eine privilegierte Art und Weise: Selbst wenn hinreichend Masse da ist, braucht kein förmliches Verfahren im Sinne eines Nachlassinsolvenz- oder Nachlassverwaltungsverfahrens durchlaufen werden. Ratio: Nach dem mutmaßlichen Erblasserwillen lohnt der finanzielle Aufwand für die förmlichen Verfahren nicht; außerdem haben Vermächtnisnehmer und Auflagenbegünstigte ohnehin eine schwächere Stellung gegenüber anderen Nachlassgläubigern.
Hinweis
Vermächtnisse und Auflagen werden bei der Prüfung der Überschuldung des Nachlasses nicht mitberücksichtigt, § 1980 Abs. 1 S. 3 BGB.
Rz. 62
Der Erbe kann eine Haftungsbeschränkung durch Erhebung der Überschwerungseinrede, § 1992 BGB, auch ohne dass Dürftigkeit vorläge, ohne förmliches Verfahren analog §§ 1990, 1991 BGB erreichen. § 1992 BGB ist gemäß § 2187 Abs. 3 BGB anwendbar. Eine sonstige analoge Anwendung, z.B. auf Pflichtteilsansprüche wird abgelehnt.
Voraussetzung ist die Überschuldung des Nachlasses durch Vermächtnisse und/oder Auflagen. Die Überschuldung muss gerade auf Vermächtnissen und Auflagen beruhen. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn allein die angeordneten Vermächtnisse und Auflagen den Nachlass überschweren. Darüber hinaus ist strittig, wann diese Voraussetzung erfüllt ist.
Rz. 63
b) Die Einrede kann vom (Mit-)Erben, Testamentsvollstrecker und nach h.M. auch vom Nachlassverwalter erhoben werden. Erbe, Nachlassverwalter oder Testamentsvollstrecker können (müssen aber nicht, § 1980 Abs. 1 S. 3 BGB) stattdessen auch die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens beantragen, § 320 InsO.
Hinweis
Ist der Erbe zugleich Pflichtteilsberechtigter, so kann er sich von der Erfüllung der Vermächtnisse und Auflagen auch dadurch befreien, dass er die Erbschaft gemäß § 2306 Abs. 1 BGB ausschlägt und den Pflichtteil verlangt.
Rz. 64
Miterben können sich zur Beschränkung von Pflichtteilsansprüchen nach der Teilung auf § 2319 BGB berufen, wenn sie selbst auch Pflichtteilsberechtigte nach § 2303 BGB sind. Gegenüber Pflichtteilsergänzungsberechtigten kann der selbst pflichtteilsberechtigte Allein- oder Miterbe (bei Miterben anders als § 2319 BGB auch schon vor der Teilung) die Einrede des Gesamtpflichtteils nach § 2328 BGB erheben. Hierdurch wird keine Begrenzung der Haftung auf den Nachlass erzielt, sondern nur der Anspruch, für den der Erbe auch mit seinem Eigenvermögen haftet, der Höhe nach begrenzt. Um eine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass zu erreichen, kann und muss sich der Erbe neben § 2328 BGB auch auf § 1990 BGB berufen.
Rz. 65
Auch ein Haftungsausfall des Erben i.S.d. § 2329 Abs. 1 BGB liegt nur dann vor, wenn die Voraussetzungen der §§ 1975 ff., 1990, 1991 Abs. 4, 2060 BGB oder § 327 InsO vorliegen oder wenn die Erben ihre Haftung gem. § 2328 BGB beschränkt haben.
Rz. 66
Die Einrede kann gegenüber sämtlichen Vermächtnissen und Auflagen erhoben werden. Auch ein Quotenvermächtnis steht der Anwendung von § 1992 BGB nicht entgegen.
Rz. 67
c) Durch Erheben der Einrede nach § 1992 BGB kann der Erbe die Vermächtnisnehmer oder Auflagenbegünstigten auf den Restnachlass verweisen, § 1992 S. 1 BGB, oder die Herausgabe der Nachlassgegenstände durch Zahlung des Wertes abwenden, § 1992 S. 2 BGB.
Hinweis
Beim Miterben hat die Erhebung der Überschwerungseinrede zur Folge, dass er nur die Zwangsvollstreckung in diejenigen Nachlassgegenstände oder deren Surrogate dulden muss, die er bei der Teilung aus dem Nachlass erhalten hat.