Walter Krug, Katrin Heindl
Rz. 232
Nicht jeder Nachlass lohnt den finanziellen Aufwand einer Nachlassverwaltung oder eines Nachlassinsolvenzverfahrens. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten verzichtet deshalb das Gesetz in den Fällen, in denen keine die Kosten deckende Masse vorhanden ist, auf eine Gütersonderung und lässt dem Erben den Vorteil der beschränkten Haftung trotzdem – auch wenn keines der zwei Nachlassverfahren durchgeführt wird – durch eine einfache Einrede zukommen. Die Einrede kann entweder außergerichtlich oder im Prozess erhoben werden.
Zwei Arten der Dürftigkeit sind zu unterscheiden:
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die Dürftigkeit kraft Tatbestandswirkung, |
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die tatsächliche Dürftigkeit. |
1. Voraussetzungen der Dürftigkeit kraft Tatbestandswirkung
Rz. 233
Wurde die Anordnung der Nachlassverwaltung mangels Masse abgelehnt (§ 1982 BGB) oder der Antrag auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen (§ 26 InsO), so ist mit den entsprechenden Gerichtsbeschlüssen der Nachweis der Dürftigkeit geführt. Dasselbe gilt, wenn die Verfahren mangels Masse eingestellt wurden (§ 1988 Abs. 2 BGB; § 207 InsO). Ein weiterer Nachweis der Dürftigkeit braucht nicht geführt zu werden.
2. Voraussetzungen der tatsächlichen Dürftigkeit
Rz. 234
Für die Beurteilung der tatsächlichen Dürftigkeit kommt es nicht auf den Zeitpunkt des Erbfalls an, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Einrede, im Prozess also die letzte mündliche Tatsachenverhandlung.
Ohne dass entsprechende Gerichtsbeschlüsse zur Frage der Dürftigkeit des Nachlasses vorlägen, hat der Erbe den Umfang des Nachlasses bezüglich aller Aktiva und Passiva darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen. Dies kann etwa durch Vorlage eines vom Erben nach § 2009 BGB errichteten Inventars erfolgen (Formulierungsbeispiel siehe Rdn 238).
Rz. 235
Die Dürftigkeitseinrede setzt voraus, dass eine die Kosten der Nachlassverwaltung oder des Nachlassinsolvenzverfahrens deckende Masse fehlt – sog. dürftiger Nachlass – und deshalb die Anordnung der Nachlassverwaltung oder die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens nicht tunlich ist. Die Überschuldung des Nachlasses ist keine Voraussetzung für die Anwendung des § 1990 BGB. Es reicht aus, dass die Nachlassaktiva so geringfügig sind, dass die Kosten dieser beiden Verfahren nicht gedeckt sind. Den Nachweis der Dürftigkeit hat der Erbe zu führen. Er kann etwa durch die Errichtung eines Nachlassverzeichnisses dartun, dass es an einer kostendeckenden Masse fehlt. Entscheidender Zeitpunkt für die Feststellung der Dürftigkeit des Nachlasses ist derjenige der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatrichter. Es wird nicht vorausgesetzt, dass der Nachlass schon im Zeitpunkt des Erbfalls dürftig war. Ist der Nachlass erst durch das Handeln des Erben dürftig geworden – etwa durch die Befriedigung von Gläubigern, unsachgemäße Verwaltung, verspätete Stellung des Insolvenzantrags – können Ersatzansprüche der Gläubiger bestehen, die dem Nachlass hinzugerechnet werden (§ 1978 Abs. 2 BGB), so dass die Dürftigkeit entfallen kann.
3. Geltendmachung der Dürftigkeit
a) Darlegungs- und Beweislast des Erben
Rz. 236
Wird der Erbe verklagt, so muss er die Aufnahme eines Haftungsbeschränkungvorbehalts in den Urteilstenor nach § 780 ZPO beantragen (Formulierungsbeispiel für einen entsprechenden Klageerwiderungsschriftsatz, siehe Rdn 239).
Der Erbe hat darzulegen und erforderlichenfalls auch zu beweisen, dass der Nachlass unzulänglich ("dürftig") ist. Das Gericht trifft dann eine entsprechende Aufklärungspflicht. Dazu der BGH im Falle der Geltendmachung der Dürftigkeit des Nachlasses gegenüber einem Pflichtteilsergänzungsanspruch:
Zitat
"Hat der Erbe gegenüber dem Pflichtteilsergänzungsanspruch die Einrede der Unzulänglichkeit des Nachlasses (§ 1990 BGB) erhoben, so muss das Prozessgericht entweder die Frage des Haftungsumfangs sachlich aufklären und darüber entscheiden oder den Vorbehalt der Haftungsbeschränkung gem. § 780 I ZPO aussprechen (Bestätigung von BGH NJW 1983, 2378)".
Prozessual verhindert der Erbe die Einzelvollstreckung eines Nachlassgläubigers in sein Eigenvermögen in entsprechender Anwendung von § 784 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 785, 767 ZPO, sofern er den Haftungsbeschränkungsvorbehalt in den Tenor des Ersturteils hat aufnehmen lassen.
Maßgebender Zeitpunkt für das Nichtvorhandensein einer entsprechenden Nachlassmasse ist nicht der Erbfall, sondern der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zur Entscheidung über die Einrede. Denn: Der Nachlass kann auch nachträglich dürftig geworden sein. Allerdings kann der Erbe einer Eigentumswohnung seine Haftung für nach dem Erbfall fällig werdende oder durch Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft begründete Wohngeldschulden nicht mehr nach § 1990 BGB beschränkten, wenn ihm das Halten der Wohnung als ein Handeln bei der Verwaltung des Nachlasses zugerechnet werden kann.