Rz. 209

Eine der häufigsten psychischen Folgestörungen nach Verkehrsunfällen ist die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Der Begriff umschreibt einen spezifischen Syndromkomplex mit folgenden typischen Symptomen (vgl. im Folgenden ausführlich Clemens/Hack/Schottmann/Schwab, Psychische Störungen nach Verkehrsunfällen, DAR 2008, 9 ff.):

Eindringlich wiederkehrende, stark belastende Erinnerungen an das Erlebte. Am häufigsten sind bildhafte Erinnerungen, die unwillkürlich und blitzhaft auftreten oder in denen wie in einem Film das Geschehen wiedererlebt wird. Aber auch Geräusche, Gerüche oder taktile Reize aus der Unfallsituation werden oft sehr lebhaft erinnert, beispielsweise das Aufprallgeräusch, Schreie von Verletzten oder Brandgeruch.
Physiologische Übererregtheit, also eine starke Angespanntheit, die sich unter anderem in starken Schlafstörungen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, übermäßiger Schreckhaftigkeit, schneller Gereiztheit und Muskelverspannungen äußern kann.
Vermeidung von Dingen, Aktivitäten oder Gedanken, die an das Trauma erinnern können, um die damit verbundenen negativen Gefühle nicht wiedererleben zu müssen. Bei Autounfallopfern kann sich die Vermeidung darauf beziehen, dass sie die Unfallstelle meiden oder gar nicht mehr Auto fahren bzw. nur, wenn unbedingt notwendig.
 

Rz. 210

Weitere typische posttraumatische Belastungssymptome von Verkehrsunfallopfern sind eine gestörte Wahrnehmung im Straßenverkehr (z.B. falsche Einschätzung von Entfernungen, Gefühl von Beinaheunfällen), die Einschätzung des Straßenverkehrs als bedrohlich (ängstlich-angespanntes Fahren) oder (zumeist irrationale) Schuldgefühle, zum Unfallzeitpunkt nicht aufgepasst zu haben.

 

Rz. 211

Allein bei der normalen Abwicklung eines Verkehrsunfalls werden Unfallopfer regelmäßig an das Geschehen erinnert, sei es durch die Zeugenaussage bei der Polizei, die Schadenmeldung beim Versicherer, beim Arztbesuch, der Meldung bei der Krankenkasse und natürlich auch durch die Fragen des Rechtsanwaltes.

 

Rz. 212

Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und auch ein zivilrechtlicher Rechtsstreit oder auch nur die Auseinandersetzungen mit den Versicherern stellen für viele Geschädigte eine massive Zusatzbelastung dar: Neben den finanziellen Unsicherheiten, die damit verbunden sind, spielt hierbei das Gefühl der Nichtanerkennung des Leidens ("Ich bin Opfer eines schlimmen Unfalls und jetzt wollen die mir noch nicht einmal das zahlen, was mir zusteht!") eine große Rolle. Bei den Betroffenen wird das oft als mangelndes Verständnis und fehlende Unterstützungsbereitschaft empfunden. Das ist dann aber ebenfalls schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen.

 

Rz. 213

Im Zuge langwieriger juristischer Auseinandersetzungen ist der Betroffene auch gezwungen, sich immer wieder mit dem Trauma neu zu konfrontieren (Briefverkehr, Unfallrekonstruktion, Kontakt mit dem Unfallgegner während einer Verhandlung, Beweise für erlittene Schäden zusammentragen), was letztlich eine ständige Reaktivierung des traumatischen Erlebnisses bedeutet und damit wiederum das "Heilen" der seelischen Wunde verhindert. An dieser Stelle muss man sich als Rechtsanwalt darüber im Klaren sein, dass selbst eine erneute Unterredung in den Kanzleiräumen, sei sie für den Verfahrensfortgang auch noch so wichtig, auch psychische Nachteile für den Mandanten haben kann, die daher nach Möglichkeit vermieden werden sollte.

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