Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrsunfall. Albträume. Vermeidungsverhalten. Sozialer Rückzug. Beweislast. Verletztenrente. Wesentliche Bedingung

 

Orientierungssatz

1. Ein Anspruch auf Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls besteht nach § 102 SGB 7, soweit der Versicherte einen Gesundheitsschaden erlitten hat, der im Wesentlichen durch den Gesundheitserstschaden verursacht oder einem Versicherungsfall aufgrund besonderer Zurechnungsnormen zuzurechnen ist.

2. Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme unter Verwendung der dortigen Schlüssel erforderlich (BSG Urteil vom 29. 11. 2011, B 2 U 23/10 R).

3. Hierzu ist der Nachweis von insgesamt vier Kriterien erforderlich. Notwendig ist u. a. der Nachweis eines wiederholten Erlebens des Unfalltraumas und eines Vermeidungsverhaltens.

4. Im Rahmen einer Begutachtung kommt der klinischen Befunderhebung maßgebliches Gewicht bei, um die subjektiv vorgetragenen Beschwerden zu objektivieren. Ergeben die erhobenen Befunde und die Beschwerdeschilderung des Versicherten kein konsistentes Bild, so ist die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Folge eines Arbeitsunfalls ausgeschlossen.

 

Normenkette

SGB VII § 8 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 56 Abs. 1 S. 1, § 107

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Unfallfolge und Gewährung einer höheren Rente wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

Der am … 1952 geborene Kläger, der zum Unfallzeitpunkt im Sicherheitsdienst tätig war, erlitt am 29. Oktober 2007 einen Verkehrsunfall auf dem Heimweg von der Arbeit. Im Durchgangsarztbericht vom 31. Oktober 2007 wird angegeben, dass der Kläger als Motorradfahrer von einem Taxi erfasst worden und gestürzt sei. Es habe keine Bewusstlosigkeit vorgelegen. Erstdiagnose sei eine distale offene Unterschenkelfraktur links mit Pilon-tibiale-Fraktur. Die Fraktur wurde im U. zunächst operativ versorgt und der Kläger anschließend in das M. Klinikum S2 verlegt, wo er sich vom 7. Dezember 2007 bis zum 28. Februar 2008 befand.

Laut Vermerk der Beklagten fand am 11. Dezember 2007 ein Gespräch mit dem Kläger statt. Der Kläger habe den Unfallhergang so geschildert, dass er bei auf grün springender Ampel mit dem Motorrad im 1. Gang eine Kreuzung überquert habe und plötzlich ein Taxifahrer ohne Licht vom Standstreifen aus auf der Straße vor ihm gewendet habe, ohne ihn heranfahren zu sehen. Beim Ausweichversuch sei er mit dem Motorrad ins Rutschen gekommen und gegen das Taxi geschleudert. Hierbei sei er mit dem Kopf an die Taxiseite geprallt und mit dem linken Bein am Auspuff des Taxis hängen geblieben.

Am 15. Januar 2008 teilte der Oberarzt des M. Klinikum S2 der Beklagten mit, dass nach seiner Einschätzung der Kläger bisher keine große Eigenmotivation zeige, in seinem aktuellen Zustand eine Besserung herbeizuführen, und ausschließlich den Rollstuhl nutze. Weiter berichtete der Oberarzt, dass der Kläger sich gegenüber dem Krankenhauspersonal äußerst unangenehm, zeitweise auch aggressiv verhalte und schwierig zu managen sei. Dies könne einerseits in der Persönlichkeit des Klägers begründet sein. Andererseits werde der Kläger derzeit psychologisch mitbetreut, da er unter Alpträumen leide. Dabei würde der Kläger immer wieder das Unfallereignis vor Augen haben.

In einem Verlaufsbericht des M. Klinikum S2 vom 28. Januar 2008 wird ausgeführt, dass der Kläger dem Psychotherapeuten vorgestellt worden sei. Hier seien leichte depressive Verstimmungen sowie zunehmende Einsamkeitsgefühle bei langwierigem Krankenhausaufenthalt und mangelnden sozialen Kontakten festgestellt worden. Diagnostisch sei von einer verschiedene affektive Qualitäten betreffenden Anpassungsreaktion auf den Unfall und die anhaltenden Belastungen und Angstträume auszugehen. Das Risiko der Ausbildung einer posttraumatischen Belastungsstörung erscheine eher gering.

Im Entlassungsbericht vom 7. März 2008 gab das M. Klinikum S2 u. a. auch die Diagnose einer Anpassungsreaktion auf den Unfall und Angstträume an. Ergänzend zum Verlaufsbericht wurde ausgeführt, dass der Kläger im Verlauf vermehrt soziale Kontakte hergestellt und auch ältere, soziale Kontakte gepflegt habe, so dass sich die Motivation verbessert habe. Zum Entlassungszeitpunkt hätten weder der Kläger noch die Psychotherapeutin einen weiteren Behandlungsbedarf gesehen.

Am 11. März 2008 erfolgte nach distaler Unterschenkelosteitis links und nach osteosynthetisch versorgter Unterschenkelfraktur eine operative Materialentfernung der Fibula und Tibia links im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus H. (B.). Nach beruhigter distaler Tibiaosteitis links, bei liegendem AO-Rahmenfixateur und externer Fehlstellung wurde am 5...

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