Rz. 272

Ein besonderes Problem innerhalb der Schmerzensgeldregulierung stellt das HWS-Trauma dar. Es stößt immer wieder auf Skepsis bei Richtern, ob nicht viele dieser behaupteten Verletzungen in Wahrheit überhaupt nicht existieren, sondern vielmehr zum Zwecke der Maximierung von Schadensersatzansprüchen schlichtweg erfunden werden.

 

Rz. 273

Auf der anderen Seite sind die tatsächlich eingetretenen HWS-Verletzungen oft sogar ganz erheblich. Während zwar etwa 80 % aller Schleudertraumata innerhalb weniger Wochen abklingen, verbleiben bei immerhin etwa 20 % der Opfer teils erhebliche und dauernde Schäden. In den meisten Fällen liegen die Schmerzensgelder im Bagatellbereich, in Extremfällen jedoch sind Schmerzensgelder bis zu 10.000 EUR erzielbar (OLG Stuttgart – 19 U 200/94: sogar 100.000 DM).

 

Rz. 274

Eine Besonderheit dieses Verletzungsbildes liegt dann auch noch darin, dass es meistens nicht unmittelbar nach dem Unfall, sondern erst bis zu 24 Stunden später auftritt. Das ist typisch für ein HWS-Trauma/-Syndrom (LG Braunschweig DAR 1999, 218). Andererseits ist eine unfallbedingte Schädigung der Halswirbelsäule auszuschließen, wenn der Unfallgeschädigte erst fünf Tage nach dem Unfall über Nackenschmerzen klagt (OLG Karlsruhe NZV 1998, 153).

 

Rz. 275

Sind die nach einem Unfall aufgetretenen Wirbelsäulenbeschwerden nicht allein durch die eigentlichen Unfallverletzungen verursacht, sondern zu einem wesentlichen Teil durch eine degenerativ vorgeschädigte Wirbelsäule (vgl. Rdn 225 ff., 317 ff.) des Verletzten mitbedingt, so sind für die Bemessung des Schmerzensgeldes dennoch sämtliche Beschwerden zu berücksichtigen, wenn auslösender Faktor der Schmerzen das Unfallgeschehen war (OLG Frankfurt VersR 1996, 864).

 

Rz. 276

 

Tipp

Gerade bei HWS-Verletzungen wird im Falle gleichzeitig bestehender degenerativer Vorschäden bei zögerlichem Heilverlauf von Versichererseite pauschal eingewendet, dieser sei nicht unfallbedingt, sondern auf die Vorschäden zurückzuführen. Das ist eindeutig falsch. Dem kann und muss unter Bezugnahme auf die oben genannte Rechtsprechung entgegentreten werden.

 

Rz. 277

Der Schweregrad wird in der Regel in drei Gruppen unterteilt:

Grad I: leichte Fälle mit Nacken-Hinterkopfschmerzen und geringer Bewegungseinschränkung der HWS, kein röntgenologisch oder neurologisch abnormer Befund, u.U. längere Latenzzeit;
Grad II: mittelschwere Fälle mit röntgenologisch feststellbaren Veränderungen der HWS (z.B. Gefäßverletzungen oder Gelenkkapseleinrissen), Latenzzeit maximal eine Stunde;
Grad III: schwere Fälle mit Rissen, Frakturen, Verrenkungen, Lähmungen und ähnlich schweren Folgen, keine Latenzzeit.

a) Nachweis durch Angaben des Geschädigten

 

Rz. 278

Die Beweislast liegt beim Geschädigten. Er muss, bevor die Beweismaßsenkung der haftungsausfüllenden Kausalität des § 287 ZPO zugunsten des Geschädigten eingreift, also zunächst einmal die Grundvoraussetzungen eines eingetretenen HWS-Traumas (haftungsbegründende Kausalität) beweisen. Er muss dazu gem. § 286 ZPO die Tatsachen und Kausalverläufe zum Haftungsgrund, die "haftungsbegründende Kausalität", so umfassend darlegen und beweisen, dass das Gericht von dem Eintritt der Verletzung überzeugt ist (hierzu auch OLG Karlsruhe DAR 2001, 509). Besonders unerfreulich ist dies für den Geschädigten vor dem Hintergrund des jüngst vom BGH bestätigten Umstandes, wonach dann, wenn dieser Nachweis nicht gelingt, auch Behandlungskosten für Kontrolluntersuchungen nach einem Unfall nicht zu erstatten sind (BGH v. 17.9.2013 – VI ZR 95/13 – VersR 2013, 1406), vgl. dazu unten Rdn 392.

 

Rz. 279

Jedoch reicht der zeitliche Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Auftreten von Beschwerden allein nicht aus (OLG Hamm r+s 2000, 154; LG Berlin zfs 2001, 108). Es müssen noch weitere Umstände hinzukommen, z.B. die Intensität des Aufpralls oder die ärztliche Feststellung von pathologischer Muskelverspannung in der Nackenregion mit Einschränkung der HWS-Beweglichkeit bei der Beugung und Rotation (AG Ludwigshafen zfs 2001, 452).

 

Rz. 280

Die Schwierigkeit liegt in der Problematik des objektiven Nachweises eines HWS-Traumas, das nur selten objektiv diagnostizierbar ist. Die Mediziner sind – insbesondere bei den leichten HWS-Traumata – oft ausschließlich auf die Angaben des Geschädigten angewiesen bzw. sie verzichten einfach auf weitergehende Diagnostik.

 

Rz. 281

Deshalb ist eine ärztliche Diagnose nicht immer relevant (OLG Hamm NZV 2001, 468). Die Bewertung eines solchen Attestes hängt im Rahmen der Beweiswürdigung vielmehr von den Umständen des Einzelfalles ab. Beruht die ärztliche Diagnose eines HWS-Traumas nämlich allein auf den vom Arzt für glaubhaft gehaltenen Angaben des Geschädigten, nicht aber auf der Erhebung eigener Anknüpfungs- und Befundtatsachen, ist die Diagnose als Beleg für die behauptete Körperverletzung wertlos (AG Biedenkopf zfs 1998, 375; a.A. AG Hanau zfs 1998, 376).

 

Rz. 282

Wenn jedoch ein Arzt eine Schanz’sche Krawatte, Massagen und Fangopackungen verordnet oder einen "Hartspann der Halsmuskeln" bzw. "deutliche Muskelverhärtun...

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