Rz. 659

Hinsichtlich der Zumutbarkeit sind z.B. der Gesundheitszustand, bisheriger Bildungsgang, Begabung und Neigung zu einem bestimmten Beruf, Kenntnisse und Fähigkeiten des Geschädigten zu berücksichtigen (BGH VersR 1991, 437). Einer Arzthelferin ist z.B. nicht zuzumuten, Näherin in einer Fabrik zu werden, wohl aber, sich zur MTA umschulen zu lassen.

 

Rz. 660

Aus Gründen der Schadensminderungspflicht kann der Geschädigte auch gehalten sein, eine ihm von dem Haftpflichtversicherer angebotene zumutbare Arbeit anzunehmen (OLG Köln NZV 2000, 293). Wenn der Verletzte eine solche Arbeit nicht annimmt, hat er darzulegen und zu beweisen, warum er diese Möglichkeit nicht nutzen konnte. Der Nachweis kann z.B. durch eine Unvermittelbarkeits-Bescheinigung der Agentur für Arbeit geschehen, da dann Bemühungen welcher Art auch immer schon im Ansatz aussichtslos erscheinen (BGH NJW 1991, 1412 ff.).

 

Rz. 661

Unter Umständen ist der Verletzte auch verpflichtet, sich ein Kraftfahrzeug anzuschaffen, wenn er den ihm angebotenen Arbeitsplatz nur bei Benutzung eines Fahrzeuges unter zumutbaren Bedingungen erreichen kann (BGH NJW 1998, 3706 = zfs 1999, 8). Die dazu erforderlichen finanziellen Mittel hat der Geschädigte aufzubringen.

 

Rz. 662

Die durch die Anschaffung und Unterhaltung des Kfz erforderlichen finanziellen Aufwendungen wirken sich aber letztlich nicht zum wirtschaftlichen Nachteil des Geschädigten aus. Die dem Geschädigten auf seinen Schadensersatzanspruch anzurechnenden Einkünfte aus der ihm angebotenen Tätigkeit verringern sich nämlich um die mit der Übernahme der Tätigkeit verbundenen Mehraufwendungen. Diese Verringerung der Einkünfte wäre als Erwerbsschaden gem. § 842 BGB im Wege des Schadensersatzes auszugleichen.

 

Rz. 663

Erzielt der Geschädigte aber durch überobligationsmäßige Anstrengungen Einkünfte (z.B. ein unfallbedingt Erblindeter erlernt Blindenschrift und damit die Anwendung von EDV, mit der er ein Buch schreibt), sind diese nicht auf den Einkommensschaden anzurechnen.

 

Rz. 664

Soweit der Verletzte unfallbedingt anstelle der ursprünglichen Erwerbstätigkeit die Führung des Haushaltes übernimmt (Umverteilung der familiären Rollen), ist der Wert dieser wirtschaftlich grundsätzlich als sinnvoll angesehenen und nicht überobligationsmäßigen Tätigkeit auf den Erwerbsschaden anzurechnen.

 

Rz. 665

Im Übrigen ist der Geschädigte in aller Regel nicht verpflichtet, mehr als einen Versuch zur Arbeitsaufnahme zu unternehmen (BGH VersR 1961, 1018).

 

Rz. 666

Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit sind:

Alter
Vorbildung
Schwere der Verletzungen
Charakter der in Betracht kommenden Arbeit.
 

Rz. 667

Von der Rechtsprechung als zumutbar angesehen:

Grundsätzlich ist der Geschädigte gehalten, an Umschulungsmaßnahmen mitzuwirken, dies gilt jedoch nicht, wenn überhaupt keine Aussicht auf einen Erfolg der Umschulung und eine nutzbringende Tätigkeit in dem neuen Beruf besteht (BGH NJW 1991, 1412 ff.).
 

Rz. 668

Von der Rechtsprechung als unzumutbar angesehen:

Wenn es keine zumutbare Tätigkeit aufgrund der Arbeitsmarktsituation und der Ausbildung des Geschädigten gibt (BGH NJW 1995, 652). Bei dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war die Geschädigte eine ungelernte Kraft.
Die Unannehmlichkeiten des neuen Berufes sind mit denjenigen des alten Berufes zu vergleichen. Wenn bei der neuen Tätigkeit erhebliche Beschwerden spürbar bleiben, ist eine weitere Umschulung unzumutbar (BGH VersR 1961, 1018 f.).
Zumutbarkeit richtet sich nach Treu und Glauben, von Bedeutung ist, inwieweit der nicht mehr ausübbare Beruf den Verletzten ebenfalls zu erheblichen Anstrengungen, Abwesenheit von der Familie usw. gezwungen hätte (BGHZ 10, 18 ff.).

Ein Umzug oder eine längere Trennung von der Familie können unzumutbar sein, zumal wenn der Geschädigte wegen fortwirkender Unfallfolgen der Betreuung bedarf (BGH VersR 1961, 1100 f.). Ob und inwieweit der Geschädigte sogar verpflichtet sein könnte, den Wohnort zu wechseln, ist daher nicht generell zu beantworten (BGH VersR 1984, 2520). Dies dürfte insbesondere auch altersabhängig sein.

 

Rz. 669

Außerdem kommt es auf die Entfernung zum bisherigen Lebensmittelpunkt, dessen verkehrsmäßiger Erreichbarkeit und auf die gesamten sonstigen Lebensumstände an. Wer – z.B. durch den Unfall – seine gesamte übrige Familie verloren hat, dürfte insoweit flexibler sein als ein Geschädigter, der noch eine junge Familie mit schulpflichtigen Kindern hat. Dazu muss im Einzelfall ggf. umfassend vorgetragen werden.

 

Rz. 670

Scheitert ein Arbeitsversuch schuldlos, ist der Geschädigte in der Regel nicht verpflichtet, weitere zu unternehmen (BGH VersR 1961, 1018), es sei denn, das Scheitern war ausschließlich in Besonderheiten des speziellen Betriebes begründet. Hinsichtlich der Frage des Verschuldens ist der Schädiger bzw. dessen Versicherer darlegungs- und beweispflichtig, nicht der Geschädigte, da es sich um den Einwand des Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht handelt.

 

Rz. 671

Unter Umständen ist dem Geschädigten auch...

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