Rz. 654
Der Geschädigte ist grundsätzlich verpflichtet, eine ihm ggf. noch verbleibende Rest-Arbeitskraft so nutzbringend wie möglich einzusetzen (ständige Rechtsprechung des BGH, z.B. VersR 1983, 488; 1991, 437, BGH DAR 2007, 141 f.; ebenso OLG Köln NZV 2000, 293). Bei dieser Erwerbsobliegenheit ist dann aber die Zumutbarkeitsgrenze zu beachten (OLG Hamm zfs 1998, 459). Diese bestimmt sich nach seiner Persönlichkeit, seiner sozialen Situation und seinem bisherigen Lebensumfeld. Ausschlaggebend sind aber daneben auch seine persönlichen Fähigkeiten und seine gesundheitlichen Verhältnisse, ferner Art und Umfang seiner Verletzungen.
Rz. 655
Die Zumutbarkeit der Aufnahme einer bestimmten Erwerbstätigkeit durch den Geschädigten bestimmt sich nach dessen Persönlichkeit, seinen Fähigkeiten, seiner sozialen Lage und seinen bisherigen Lebensumständen. Hinzu kommen seine Anpassungsfähigkeit, Art und Umfang seiner Unfallfolgen, seine psychische Situation und sein Umfeld (familiäre Situation, Wohnort, personenbezogene Besonderheiten). Verstößt der Geschädigte gegen seine Erwerbsobliegenheit, ist der fiktive Verdienst zu schätzen (§ 287 BGB; BGH NJW 2007, 64).
Rz. 656
Grundsätzlich ist der Schädiger für das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht darlegungs- und beweispflichtig (BGHZ 91, 357, 369; BGH VersR 1979, 424, 425, BGH VersR 1991, 437, 438, BGH DAR 2007, 141 f.). Der Geschädigte muss aber andererseits, soweit es um Umstände aus seiner Sphäre geht, an der Sachaufklärung mitwirken und erforderlichenfalls darlegen, was er zur Schadensminderung unternommen hat (BGHZ 91, 243, 259 f.; BGH DAR 1996, 144; BGH DAR 1998, 472; BGH DAR 2007, 142).
Rz. 657
Die Ersatzansprüche des Geschädigten können nicht gem. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB um eine prozentuale Mitverschuldensquote gekürzt werden (BGH DAR 2007, 141 f.). Verstößt der Geschädigte gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht, weil er es unterlässt, einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit nachzugehen, sind nach ständiger Rspr. des BGH die erzielbaren (fiktiven) Einkünfte auf den Schaden anzurechnen (vgl. BGHZ 91, 357, 363 ff.; BGH v. 25.9.1973, DAR 2007, 141 f.).
Rz. 658
Eine quotenmäßige Anspruchskürzung kommt dagegen grundsätzlich nicht in Betracht, weil sie im Einzelfall zu sachwidrigen Ergebnissen führen kann. Die Höhe der erzielbaren Einkünfte des Geschädigten hängt nämlich nicht quotenmäßig von der Höhe des ihm entgangenen Unterhalts, sondern vielmehr davon ab, welches Einkommen im konkreten Fall der Versorgungsempfänger in der konkreten Situation unter Berücksichtigung aller Umstände, d.h. seiner Lebenssituation, seiner Ausbildung, einer eventuell früher ausgeübten Tätigkeit und der jeweiligen Lage auf dem Arbeitsmarkt in zumutbarer Weise erzielen könnte und von welchem Zeitpunkt an ihm eine Aufnahme der Erwerbstätigkeit zumutbar war (BGH DAR 2007, 141 f.).
(1) Zumutbarkeit und Möglichkeit anderweitiger Arbeitsaufnahme
(a) Zumutbarkeit
Rz. 659
Hinsichtlich der Zumutbarkeit sind z.B. der Gesundheitszustand, bisheriger Bildungsgang, Begabung und Neigung zu einem bestimmten Beruf, Kenntnisse und Fähigkeiten des Geschädigten zu berücksichtigen (BGH VersR 1991, 437). Einer Arzthelferin ist z.B. nicht zuzumuten, Näherin in einer Fabrik zu werden, wohl aber, sich zur MTA umschulen zu lassen.
Rz. 660
Aus Gründen der Schadensminderungspflicht kann der Geschädigte auch gehalten sein, eine ihm von dem Haftpflichtversicherer angebotene zumutbare Arbeit anzunehmen (OLG Köln NZV 2000, 293). Wenn der Verletzte eine solche Arbeit nicht annimmt, hat er darzulegen und zu beweisen, warum er diese Möglichkeit nicht nutzen konnte. Der Nachweis kann z.B. durch eine Unvermittelbarkeits-Bescheinigung der Agentur für Arbeit geschehen, da dann Bemühungen welcher Art auch immer schon im Ansatz aussichtslos erscheinen (BGH NJW 1991, 1412 ff.).
Rz. 661
Unter Umständen ist der Verletzte auch verpflichtet, sich ein Kraftfahrzeug anzuschaffen, wenn er den ihm angebotenen Arbeitsplatz nur bei Benutzung eines Fahrzeuges unter zumutbaren Bedingungen erreichen kann (BGH NJW 1998, 3706 = zfs 1999, 8). Die dazu erforderlichen finanziellen Mittel hat der Geschädigte aufzubringen.
Rz. 662
Die durch die Anschaffung und Unterhaltung des Kfz erforderlichen finanziellen Aufwendungen wirken sich aber letztlich nicht zum wirtschaftlichen Nachteil des Geschädigten aus. Die dem Geschädigten auf seinen Schadensersatzanspruch anzurechnenden Einkünfte aus der ihm angebotenen Tätigkeit verringern sich nämlich um die mit der Übernahme der Tätigkeit verbundenen Mehraufwendungen. Diese Verringerung der Einkünfte wäre als Erwerbsschaden gem. § 842 BGB im Wege des Schadensersatzes auszugleichen.
Rz. 663
Erzielt der Geschädigte aber durch überobligationsmäßige Anstrengungen Einkünfte (z.B. ein unfallbedingt Erblindeter erlernt Blindenschrift und damit die Anwendung von EDV, mit der er ein Buch schreibt), sind diese nicht auf den Einkommensschaden anzurechnen.
Rz. 664
Soweit der Verletzte unfallbedingt anstelle der ursprünglichen Erwerbstätigkeit die Führung des Haushaltes übernimmt (Um...