Rz. 94
Bei der Bestimmung des angemessenen Schmerzensgeldes sind eine ganze Reihe von Bemessungskriterien (siehe die Darstellung in der Einleitung zur Tabelle Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeld-Beträge 2020, 38. Auflage 2020) zu beachten.
1. Art und Umfang der Verletzungen
Rz. 95
Zunächst ist die Art der erlittenen Verletzungen bestimmend. Sie ergibt sich aus den ärztlicherseits attestierten Verletzungsbildern, der Diagnose.
Rz. 96
Alsdann sind die Intensität der Verletzungen und Schmerzen, d.h. deren Dauer und Heftigkeit, aber auch Umfang und Anzahl operativer Maßnahmen, Dauer einer etwaigen stationären Krankenhausbehandlung, Art und Umfang der medizinischen Therapie und der ambulanten Heilbehandlung schmerzensgeldbestimmend.
Rz. 97
Zur Schmerzensgeldregulierung sind stets ärztliche Atteste erforderlich. Wenn der Versicherer diese aber nicht einholt oder dies wegen zu hoher Honoraransprüche der Ärzte ablehnt, muss der Geschädigte die Atteste zunächst auf eigene Kosten einholen. Die Attestkosten sind aber in jedem Falle ihm erwachsene und demzufolge ersetzbare Schadenspositionen.
Rz. 98
Bei Streit über die Höhe des Arzthonorars hat der Versicherer dieses zwar zunächst zu ersetzen, erhält im Gegenzuge jedoch einen Anspruch auf Abtretung der Regressansprüche gegen den Arzt ("Zug um Zug gegen Zahlung").
Tipp
Oft verweigern die Versicherer, ein Gutachten eines behandelnden Arztes beizuziehen, mit der Begründung, der Arzt habe erklärt, er werde das Gutachten nur gegen ein bestimmtes – nach Ansicht des Versicherers überhöhtes – Honorar erstellen. In einem solchen Fall bleibt nichts anderes übrig, als den Mandanten zu bitten, das Gutachten auf einem Blankoformular, das sich an den üblichen Versicherungsformularen orientiert, gegen Zahlung des geforderten Honorars erstellen zu lassen. Das tatsächlich geforderte und gezahlte Honorar ist dann als selbstständige Schadensposition (vgl. Sachverständigenhonorar, siehe § 8 Rdn 4 ff.) im Rahmen des erforderlichen Herstellungsaufwandes – ggf. nach der Quote – zu verlangen und vom Versicherer auch zu bezahlen, was ggf. mittels eines Prozesses durchzusetzen ist (allerdings nur "Zug um Zug gegen Abtretung eines Regressanspruchs" gegen den Arzt).
2. Minderung der Erwerbstätigkeit und Dauerschäden
Rz. 99
Zur Schmerzensgeldbemessung gehören auch die Dauer der Minderung der Erwerbstätigkeit (MdE), ein eventueller Dauerschaden oder dauernde Entstellungen oder psychische Beeinträchtigungen.
Rz. 100
Narben erheblichen Umfangs können – vor allem bei einer Frau – verminderte Heiratschancen bedeuten. Bei Frauen kann die Art der Verletzungen – z.B. Beckenverletzungen – auch Probleme bei der Geburt hervorrufen. Wesensveränderungen können ebenso schmerzensgeldbestimmend sein wie Angstzustände und Einschränkungen bei der Berufswahl.
Rz. 101
Besonderes Augenmerk ist auf entstellende Narben zu richten. Sie werden in den ärztlichen Berichten in der Regel nur unvollkommen beschrieben und von der Schädigerseite daher oft ignoriert oder zumindest bagatellisiert.
Rz. 102
Selbst der Anwalt macht sich oft keine Vorstellung über Art und Umfang der Entstellungen, insbesondere bei verdeckten Narben. Der Schadenregulierer oder der Richter, der den Geschädigten ja in der Regel nicht zu Gesicht bekommt, kann sich also erst recht kein zutreffendes Bild machen.
Rz. 103
Tipp
Von Verletzungs- und Operationsnarben wie von den Verletzungen selbst sollte möglichst frühzeitig, solange sie noch deutlich zu sehen sind, eine möglichst professionelle Fotodokumentation erstellt werden. Die zum Nachweis des Verletzungsumfanges erforderlichen Kosten solcher Fotografien hat der Schädiger zu tragen. Später kann dann u.U. ein weiterer Fotosatz erstellt werden, um ggf. bestehende dauernde Entstellungen zu dokumentieren. Der Mandant sollte ermuntert werden, bei der Erstellung der Fotodokumentation "Mut zur Hässlichkeit" zu haben. Bei gerichtlichen Auseinandersetzungen sollte bei Entstellungsschäden stets auf die Einnahme des gerichtlichen Augenscheins hingewirkt werden.
3. Entgangene Lebensfreuden
Rz. 104
Auch verletzungsbedingter Entgang von Lebensfreuden, wie z.B. dauernde oder zeitweilige Unmöglichkeit oder Behinderung beim Tanzen, Sport treiben, Discobesuchen, Ausübung von Hobbys, Autofahren o.Ä. ist schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen.
4. Entgangener Urlaub
Rz. 105
Entgegen weit verbreiteter Auffassung begründen unfallbedingt entgangene Urlaubsfreuden keinen eigenen Schadensersatzanspruch (BGH NJW 1983, 1107; vgl. auch Stoll, JZ 1975, 252.). Für das vertragliche Schadensersatzrecht hat der VII. Senat des BGH dem Geschädigten neben den nutzlos gewordenen Aufwendungen nur dann einen weiteren Schadensersatz zugesprochen, wenn der Urlaub eines Arbeitnehmers wesentlich beeinträchtigt wurde (BGH VersR 1975, 82). Zu Recht hat es der VI. Senat abgelehnt, die Grundsätze des Reisevertragsrechts auf das Deliktsrecht zu übertragen. Nach dem Zweck des Deliktsrechts ist die Beeinträchtigung oder der Wegfall des Urlaubs kein Vermögensschaden, dies kann lediglich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes – in "erheblich" geringerem Umfang – berücksichtigt werden. Die im Reisever...