Rz. 30
Zitat
BGB §§ 249 Abs. 2 S. 1, 254 Abs. 2 S. 1; StVG § 7 Abs. 1
Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den eigenen Kaskoversicherer auf Behebung des Unfallschadens in Anspruch zu nehmen, um die Zeit des Nutzungsausfalls und damit die Höhe der diesbezüglichen Ersatzverpflichtung des Schädigers und dessen Haftpflichtversicherers möglichst gering zu halten.
a) Der Fall
Rz. 31
Die Klägerin nahm den beklagten Haftpflichtversicherer auf Ersatz weiteren Nutzungsausfallschadens nach einem Verkehrsunfall in Anspruch.
Der vollkaskoversicherte Pkw der Klägerin wurde am 16.2.2017 bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die Beklagte war als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners dem Grunde nach voll einstandspflichtig. Die Klägerin erteilte noch am Unfalltag den Auftrag zur Erstellung eines Schadensgutachtens; das Gutachten lag am Folgetag vor. Mit Anwaltsschreiben vom 20.2.2017 meldete die Klägerin ihre Ansprüche bei der Beklagten an, zugleich und erneut mit weiterem Schreiben vom 6.3.2017 wies sie die Beklagte darauf hin, aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage zu sein, die Kosten für die notwendige Reparatur ihres bei dem Unfall beschädigten Fahrzeugs vorzufinanzieren. Ebenfalls am 6.3.2017 forderte die Klägerin ihren Kaskoversicherer zur Regulierung auf. Am 20.3.2017 erteilte die Klägerin den Reparaturauftrag; ihr Fahrzeug wurde daraufhin vom 20. bis zum 29.3.2017 repariert. Im Rahmen der vorgerichtlichen Regulierung des Unfallschadens erstattete die Beklagte der Klägerin einen Nutzungsausfallschaden für 15 Tage (zehn Tage Reparaturdauer zuzüglich zwei Tage für die Beauftragung und Erstellung des Gutachtens zuzüglich drei Tage Überlegungsfrist). Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin, soweit im Revisionsverfahren noch relevant, den Ersatz von Nutzungsausfallschaden für weitere 27 Tage (Gesamtzeitraum 16.2. bis 29.3.2017 = 42 Tage abzüglich regulierter 15 Tage) zu je 43 EUR.
Rz. 32
Das Amtsgericht hat die Klage insoweit ab-, das Landgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 33
Die Revision hatte Erfolg. Eine generelle, von den Umständen des Einzelfalls losgelöste Obliegenheit des Geschädigten, die Wiederherstellung im Interesse des Schädigers an der Geringhaltung der Kosten möglichst zeitnah nach dem schädigenden Ereignis vorzunehmen und damit vorzufinanzieren, lässt sich aus § 254 Abs. 2 BGB nicht herleiten. Grundsätzlich ist es Sache des Schädigers, die Schadensbeseitigung zu finanzieren. Der Geschädigte hat Anspruch auf sofortigen Ersatz und ist unter Umständen berechtigt, grundsätzlich aber nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen. Dieser Rechtsgrundsatz würde unterlaufen, sähe man den Geschädigten schadensrechtlich grundsätzlich als verpflichtet an, die Schadensbeseitigung zeitnah nach dem schädigenden Unfall vorzunehmen und damit ganz oder teilweise aus eigenen oder fremden Mitteln vorzufinanzieren. Das Bestehen einer derartigen Obliegenheit kommt nur dann in Betracht, wenn dem Geschädigten im Einzelfall ausnahmsweise ein Zuwarten mit der Schadensbeseitigung als Verstoß gegen Treu und Glauben vorgeworfen werden kann. Nach diesen Maßstäben ist der Geschädigte eines Verkehrsunfalls grundsätzlich nicht verpflichtet, den eigenen Kaskoversicherer auf Behebung des Unfallschadens in Anspruch zu nehmen, um die Zeit des Nutzungsausfalls und damit die Höhe der diesbezüglichen Ersatzverpflichtung des Schädigers und dessen Haftpflichtversicherers möglichst gering zu halten. Sinn und Zweck der Kaskoversicherung ist nicht die Entlastung des Schädigers. Der Versicherungsnehmer einer Kaskoversicherung erkauft sich den Versicherungsschutz vielmehr für die Fälle, in denen ihm ein nicht durch andere zu ersetzender Schaden verbleibt. Die entsprechenden Versicherungsleistungen sind durch Prämien erkauft und dienen nicht dazu, den Schädiger zu entlasten. Dem steht nicht entgegen, dass bei Inanspruchnahme des Kaskoversicherers der Hauptanspruch auf Ersatz der Reparaturkosten gemäß § 86 Abs. 1 S. 1 VVG auf diesen überginge, der Schädiger also insoweit nicht entlastet wäre. Die Entlastung des Schädigers läge dann nämlich in der geringeren Höhe des Nutzungsausfallschadens. Die Inanspruchnahme des eigenen Kaskoversicherers ist dem Geschädigten regelmäßig auch wegen der damit verbundenen Rückstufung nicht zuzumuten.
Rz. 34
Als treuwidrig könnte sich das Absehen von einer zeitnahen Inanspruchnahme des eigenen Kaskoversicherers und das darin liegende Zuwarten mit der Schadensbeseitigung gegebenenfalls ausnahmsweise dann darstellen, wenn der Geschädigte von vornherein damit zu rechnen hat, dass er einen erheblichen Teil seines Schadens selbst tragen muss und dass die Aufwendungen hierfür den Schaden, der ihm durch den Verlust des Schadensfreiheitsrabatts entstehen...