Andre Naumann, Christian Brinkmann
Rz. 3
Nach § 19 Abs. 1 S. 1 VVG n.F., Ziff. 13 AUB 2008 hat der VN solche gefahrerheblichen Umstände anzuzeigen, die ihm bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung bekannt waren und nach denen der VR in Textform (vgl. § 126b BGB) gefragt hat.
Damit ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Erfüllung der Anzeigeobliegenheit nach neuem Recht nicht mehr derjenige des Vertragsschlusses gemäß § 16 Abs. 1.S. 1 VVG a.F., sondern die Abgabe der Vertragserklärung des VN, also regelmäßig der Zeitpunkt seines Antrags.
Zudem ist ohne eine entsprechende Nachfrage des VR in Textform eine Anzeigepflichtverletzung durch nicht mitgeteilte Umstände seitens des VN nicht möglich.
Anzeigepflichtig ist neben dem VN auch die VP (vgl. Ziff. 12.1 AUB 08/99). Hat der VN einen Vertreter eingeschaltet, so muss er sich dessen Kenntnis von gefahrerheblichen Umständen zurechnen lassen, Ziff. 13.1 AUB 08, § 20 VVG n.F.
Rz. 4
Die vorvertragliche Anzeigepflicht auf Fragen des VR erstreckt sich nur auf gefahrerhebliche Umstände. Darunter sind solche Umstände zu verstehen, die den Entschluss des VR, ob ein Vertrag überhaupt oder mit dem vorgesehenen Inhalt abgeschlossen werden soll, beeinflussen können.
Beispiel
Eine Anzeigepflichtverletzung ist nicht gegeben, wenn der VN auf die Frage nach Vorerkrankungen und Gebrechen keine Angaben zu belanglosen Krankheiten oder Verletzungen macht, wie etwa Erkältungen oder leichte Prellungen/Verstauchungen.
Rz. 5
Die Gefahrerheblichkeit des Umstandes muss objektiv vorgelegen haben, so dass Fragen unwirksam sein können, die zu allgemein gehalten sind oder sich auf Vorerkrankungen ohne zeitliche Befristung (z.B. auf die letzten 5 bis 10 Jahre) beziehen. Insoweit sollte der VR Antragsfragen möglichst konkret formulieren, da der VN zu unwirksamen Fragen keine Angaben machen muss.
Hinweis
Der Anwalt sollte in diesem Zusammenhang auch darauf achten, ob Fragen nach Vorerkrankungen oder Gebrechen beispielhaft oder abschließend aufgezählt sind. Stellt sich die Aufzählung für den VN als abschließend dar, so besteht bzw. bestand keine Verpflichtung, andere Erkrankungen oder Gebrechen anzugeben.
Rz. 6
Zwar sind auch "weite" Fragen etwa im Sinne von Auffangfragen möglich, aber für den VR risikoreich. Entscheidend ist letztlich, ob der VN erkennen kann, welche konkreten Angaben von ihm erwartet werden. Hierfür trägt der VR das Risiko.
Beispiel
Fragt der VR allgemein nach sonstigen "Beschwerden" des VN, so muss dieser z.B. eine vorliegende "Adipositas" (krankhaftes Übergewicht) nicht angeben, da diese für ihn nicht ohne weiteres unter "Beschwerden" zu subsumieren ist. Der VR müsste hier konkret nach Größe und Gewicht oder dem Body-Maß-Index (BMI) des VN fragen.
Rz. 7
Im Übrigen ist stets im Sinne einer Einzelfallprüfung zu klären, ob der VN bestimmte Umstände auf eine Antragsfrage hin hätte angeben müssen und welcher Verschuldensmaßstab gegebenenfalls anzunehmen ist.
Rz. 8
Eine Anzeigepflichtverletzung liegt vor, wenn der VN die Fragen des VR zu den gefahrerheblichen Umständen unrichtig oder unvollständig beantwortet (Ziff. 13.2.1 AUB 08). Die Entscheidung hierüber hängt auch von der Fragestellung ab. Je konkreter die Frage formuliert ist, desto weniger "Spielraum" bleibt dem VN und umso höher wird der Verschuldensgrad bei einer fehlerhaften Auskunft einzuschätzen sein. Hat der VR etwa konkret oder beispielhaft nach einer bestimmten Erkrankung (z.B. HIV-Infektion) gefragt, dann ist eine falsche Angabe zumindest grob fahrlässig. Unklarheiten bei der Fragestellung gehen zu Lasten des VR. Die Antworten des VN sind nach den üblichen Grundsätzen auszulegen, wobei der Erklärungsinhalt mit der tatsächlich vorhandenen Lage zu vergleichen ist.
Eine Anzeigepflichtverletzung setzt stets voraus, dass dem VN die nicht mitgeteilten Umstände bekannt sind. Die Nichtbeantwortung einer Frage bedeutet nicht deren Verneinung. Eine Verneinung ist dagegen anzunehmen, wenn der VN das Antwortfeld oder die ganze Frage durchstreicht. Nach § 69 Abs. 3 S. 2 VVG n.F. trägt der VR die Beweislast für die Verletzung der Anzeigepflicht auch im Falle der Einschaltung eines Versicherungsvermittlers.