Dr. iur. Holger Bremenkamp, Dr. Fernanda Bremenkamp
Rz. 6
Die praktisch bedeutendste Rolle spielen im Produkthaftungsrecht die allgemeine deliktische Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB und die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem allgemeinen oder speziellen Schutzgesetz. Speziell dem Verbraucherschutz dient das Produkthaftungsgesetz. Auch in Produkthaftungsfällen bestehen zuweilen vertragliche Beziehungen zwischen Hersteller und Geschädigten, aus denen sich eine vertragliche Produkthaftung ergeben kann.
I. Allgemeine deliktsrechtliche Produkthaftung
Rz. 7
Die allgemeine deliktsrechtliche Produkthaftung knüpft an die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten aus der Eröffnung einer Gefahrenquelle an und schützt das Integritätsinteresse. Im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB dient sie dem Schutz absoluter Rechtsgüter; das Vermögen ist nur in den engen Grenzen des § 826 BGB geschützt. Für eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. allgemeinen oder speziellen Schutzgesetzen ist der Schutzzweck des jeweiligen Schutzgesetzes maßgeblich.
II. Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz
Rz. 8
Die Haftung nach dem ProdHaftG ist Gefährdungshaftung und tritt bei Personenschäden und bei Schäden an privat genutzten Sachen neben die allgemeine deliktsrechtliche Produkthaftung; auf ein Verschulden des Herstellers kommt es nicht an. Der Schutzumfang bleibt aber hinter dem der allgemeinen deliktischen Produkthaftung zurück (Selbstbehalt bei Sachschäden, Haftungshöchstbetrag bei Personen-Serienschäden); auch verjährungsrechtlich bestehen Unterschiede (taggenaue dreijährige Verjährung, vgl. § 12 ProdHaftG).
III. Vertragliche Produkthaftung
Rz. 9
Generell treffen den Hersteller eines Produkts (und diesem gleichgestellte Personen) auch im Rahmen eines Vertragsverhältnisses oder seiner Anbahnung mindestens eben die Pflichten, die allgemein zu erfüllen hat, wer ein Produkt in den Verkehr bringt: Die Rechtsgüter speziell des Käufers können nicht geringeren Schutz erfahren als allgemein über deliktsrechtliche Verhaltenspflichten gewährt wird. Folglich reicht der vertragsrechtliche Sorgfaltsmaßstab grundsätzlich nicht weniger weit als der deliktsrechtliche. Er ist im Gegenteil nicht selten strenger, weil sich aus den vertraglichen Vereinbarungen oder aus sonstigen Umständen gesteigerte Sorgfaltsanforderungen und zusätzliche Hinweis- und Aufklärungspflichten ergeben können; auch wird gemäß § 278 BGB ohne Entlastungsmöglichkeit für Erfüllungsgehilfen gehaftet, während § 831 Abs. 1 S. 2 BGB für die allgemeine deliktische Produkthaftung den regelmäßig freilich kaum zu führenden ("faktisch erledigten") Entlastungsbeweis zulässt. Im Übrigen bestehen die folgenden hauptsächlichen Unterschiede:
Rz. 10
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Nach Vertragsrecht wird auch für reine Vermögensschäden gehaftet, deliktsrechtlich dagegen grundsätzlich nur im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB). Dagegen kann Ersatz für Unterhaltsverlust (§ 844 BGB) außerhalb eines Dienst- oder ähnlichen Verhältnisses (§ 618 Abs. 3 BGB) nur aus deliktischer Haftung gefordert werden. |
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Schadensersatzansprüche aus Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Konstruktion oder Herstellung des Produkts unterliegen der kaufrechtlichen Verjährung des § 438 Abs. 1 BGB und verjähren demgemäß im Regelfall – Ausnahme: fünf Jahre bei Baustoffen und Bauteilen – kenntnisunabhängig zwei Jahre nach Lieferung der Sache. Für Ansprüche aus einer Beschaffenheitsgarantie gilt das allerdings nur, wenn sich die Garantie darin erschöpft, eine verschuldensunabhängige Mängelhaftung zu begründen. Für die schuldhafte Verletzung von Informations- und Beratungspflichten bleibt es generell bei der Regelverjährung der §§ 195, 199 BGB (anders als nach früherem Recht bei Eigenschaftszusicherung oder Verletzung einer sacheigenschaftsbezogenen Aufklärungspflicht). |
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Bei Kauf- oder Werklieferungsverträgen zwischen Kaufleuten kann die Verletzung der Rügeobliegenheit des § 377 HGB zum Anspruchsausschluss führen; deliktsrechtliche Ansprüche werden hiervon nicht erfasst. |
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Im Kaufrecht liegt eine Haftung wegen arglistigen Verschweigens eines hinweispflichtigen Umstands näher als die korrespondierende deliktsrechtliche Haftung aus § 826 BGB. Denn arglistig handelt bereits, wer das Vorhandensein eines hinweispflichtigen Umstandes mindestens für möglich hält und weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragspartner diesen Umstand nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte: Damit werden auch solche Verhaltensweisen erfasst, die auf ein bloßes Für-möglich-halten und Inkaufnehmen reduziert sind und mit denen ein moralisches Unwerturteil nicht verbunden sein muss. Die Schwelle liegt damit niedriger als für eine Haftung aus § 826 BGB. |
Deliktische Haftung und Vertragshaftung stehen ggf. nebeneinander (Kumulationsprinzip): Die Deliktshaftung wird bei Bestehen eines Vertragsverhältnisses weder ausgeschlossen noch modifiziert. Weil ...